Als wir noch im Norden von Neukölln gewohnt haben war Barbara unsere Nachbarin. Sie wohnte in der zweiten Etage und wir in der vierten. Wir halfen uns wenn ein Ei zum Backen fehlte oder die Hausverwaltung geschrieben hatte. Wir schwatzten für einen Moment auf der Treppe wenn es sich so fügte, weil sie joggen ging und ich zeitgleich den Sohn zur Schule brachte. Manchmal saßen wir auch abends im Hof zusammen und einmal – als Barbara sich ausgesperrt hatte – haben wir ihre Wohnungstür mit Hilfe eines Drahtbügels wieder aufgemacht. Spätestens seither weiß ich, dass wir gut zusammen arbeiten.
Barbara ist Künstlerin. Der Trainer sagt meinem Sohn nach, dass er beim Basketball „dahin geht wo es weh tut“. Das macht Barbara auch. Allerdings im richtigen Leben. Sie war in Syrien als das eigentlich nicht mehr ging und letzten Sommer in Lampedusa. Dass ihr derzeitiges Kunstprojekt in einem Flüchtlingsheim in Berlin stattfindet ist logische Konsequenz.
Heute morgen wurde eine Studie veröffentlicht, der zufolge ein Flüchtling in der Regel mindestens sieben Monate auf Bestätigung seines Aufenthaltsstatus warten muss. Sieben Monate in denen es nicht mal einen Deutschkurs gibt. Zumindest nicht in Berlin. Sieben Monate kaserniert, traumatisiert und bei allem zur Untätigkeit verdammt (wenn man von täglichen Ämtergängen und stundenlangem Warten absieht).
Das Heim, in dem Barbara arbeitet, liegt im Industriegebiet. Weit weg von allem und häßlich. Rundherum ein hoher Zaun. Abends Rechtsradikale auf der Straße. Ihr Projekt heißt KUNSTASYL. Auf der gleichnamigen Seite werden die Bewohner vorgestellt. Khaled ist 11 Jahre alt. Er ist einer von ihnen und wohnt im Erdgeschoss, Zimmer 11. Es tut weh seinen Text zu lesen. Mir zumindest. Um die Homepage den Heimbewohnern leichter zugänglich zu machen habe ich angefangen die Texte auf Englisch zu übersetzen. Außerdem – wie könnte es anders sein – wird es einen Stricktreff geben. Um sich auszutauschen (wir wissen alle, wie gut es sich mit Nadeln in der Hand reden lässt), aber auch in Bezug auf das Kunstprojekt. Barbara wird darüber auf der Homepage schreiben. Am Wochenende haben wir mit Freunden zu Abend gegessen. Nett wars und viel zu spät. Als wir weit nach 1 Uhr schließlich aufbrachen sprach mich auf der ansonsten menschenleeren Straße eine junge Frau an. Sie war ziemlich aufgeregt. „Sehe ich aus wie eine Asylantin?!“ fragte sie mich und auf meine Gegenfrage „Wie sieht eine Asylantin denn aus?“ fragte sie erneut „Sehe ich aus wie ein Flüchtling?“. Was war passiert? Sie hatte den Tag über beim Karneval der Kulturen kleine Einladungen zu ihrem eigenen Kunstprojekt verteilen wollen und wurde wiederholt für eine bettelnde Asylantin gehalten. Eine von denen, die einem einen Zettel hinhalten auf dem steht, dass sie Hunger haben aber kein Deutsch sprechen. Wir haben uns noch lange unterhalten. Dass sie in Berlin geboren ist als Kind türkischer Eltern. Dass sie sich deutsch fühlt, aber dass man sie nicht läßt, weil sie dunkle Haare hat und dunkle Augen. Und dass sie das wütend macht, aber auch traurig. Mich läßt das Thema nicht los.