Buchrezension: ‚Rausch und Klarheit‘ von Mia Gatow

Im Januar 2024 habe ich zum ersten Mal einen Text von Mia Gatow gelesen. Einen Artikel im Berliner Tagesspiegel zu Alkohol und Alkoholsucht. Den Titel erinnere ich nicht, aber umso mehr, wie sehr sie mich mit dem was sie schreibt und wie sie es schreibt, beeindruckt, begeistert, neudeutsch: geflasht hat. Seither folge ich ihr auf Instagram.

Als sie dort im Juli 2024 die Premiere ihres Buchs ‚Rausch und Klarheit‚ ankündigte, habe ich sofort (also wirklich sofort) zwei Tickets gekauft. Einfach, um Tickets zu haben. Ich weiß noch, dass ich dachte „23. September … eigentlich verrückt. Das ist noch so lange hin.“ Aber weil sich das, was früher endlose Sommerferien waren, heute eher wie ein langes Wochenende anfühlt, war „noch lange hin“ deutlich schneller vorbei als gedacht.

Vergangenen Montag waren wir also im Pfefferberg-Theater. Der Mann kam mit. (Nicht wegen des Themas, wie er mir versicherte, sondern wegen des Events. Denn wir waren tatsächlich länger nicht gemeinsam abends unterwegs. Aber – Spoiler – soviel vorab: es bleib nicht dabei. Er möchte das Buch jetzt auch lesen).

Der Saal im kleinen Theater war erwartungsgemäß ausgebucht, die Plätze in der Mitte von Reihe 5 waren perfekt (wenn man davon absieht, dass der Mann Probleme hatte, die langen Beine in der schmalen Stuhlreihe unterzubringen) und im Publikum saßen, ebenfalls wie erwartet, deutlich mehr Frauen als Männer, die meisten um die 30. Vielleicht auch jünger. Keine von ihnen schien dabei Klischees zu erfüllen, die landläufig mit dem Thema des Buches in Verbindung gebracht werden. Sie wirkten ausnahmslos erwartungsfroh, guter Dinge und bester Laune.

Aber zurück zur Lesung: Mia Gatow im Gespräch mit Daniel Schreiber. Autor:innen unter sich. Sie anfänglich nervös, er fing das auf, indem er ein bißchen mehr sprach, ein wenig mehr erklärte. Schon nach der ersten Lesung entspannte sie jedoch sichtlich und was immer ich mir von diesem Abend erwartet hatte, wurde in Folge weit übertroffen.

Wäre Mia Gatow nicht so jung, würde ich sagen, sie ist weise. So passt das irgendwie nicht. Und doch ist sie es. Denn das, was sie denkt und sagt, ist positiv und abgeklärt und auf eine ganz eigenwillige Art unglaublich schön. Meint man nicht, in Anbetracht des Themas – ist aber so.

Worum geht es also? ‚Rausch und Klarheit‘ ist ein autobiografisches Buch, in dem Mia Gatow ihre Erfahrungen mit Alkohol im familiären, aber auch im gesellschaftlichen Kontext beschreibt. Als jüngstes Kind einer Familie mit Alkoholproblemen schildert sie ihre Kindheit, die vom alkoholbedingten Tod ihrer Großmutter und ihres Vaters geprägt war. Spätestens in ihrer Zeit als Barkeeperin in Berlin wurde Alkoholkonsum dann zu einem festen Bestandteil ihres eigenen Lebens.

Im Buch beschreibt sie ihre Entwicklung von der allmählichen Erkenntnis ihrer eigenen Sucht bis hin zu ihrem Besuch bei den Anonymen Alkoholikern und der Aussicht auf ein neues Leben, in dem „Nüchternheit nicht ein Verzicht ist, sondern ein Gewinn.“ Neben ihrer persönlichen Suchtgeschichte analysiert sie dabei auch gesellschaftliche Strukturen, die samt und sonders Alkoholkonsum normalisieren.

„Sei doch gemütlich, trink doch mal was“ – diese unzulässige Verbindung von Worten, die nicht zusammen gehören, wie oft habe ich das schon gehört! Und die meisten von Euch werden mir zustimmen, dass es bis heute nur wenig akzeptierte Gründe gibt, Alkohol abzulehnen. „Ich bin schwanger“ ist einer, „ich muss noch fahren“ der andere. Alles andere hat in der Regel Diskussionen zur Folge. („Ach komm schon, nur eins. Sei doch nicht so“). Das Feierabendbier, das Treffen auf ein Glas Wein, oder Sekt, um zu feiern, Schnaps, um Kummer zu ertränken – Alkohol ist rund um die Uhr verfügbar, ist Werbepartner von Sportvereinen und wird von schönen, jungen Menschen auf Plakaten beworben. Alles total normal. Weil Alkohol tief verwurzelt ist (nicht nur) in unserer Kultur.

Und doch kennt jede:r von uns mindestens einen Menschen, der oder die durch den Konsum von Alkohol krank geworden ist oder abhängig oder beides. Denn Alkohol ist ein Zellgift. Jeder Schluck ist in so vieler Hinsicht schädlich: Krebs, Depressionen, Demenz. Keine andere Droge verursacht so viele Unfälle, so viel Gewalt, zerstört so viele Leben, Freundschaften und Familien.

„Ich möchte dieses Buch allen Leuten schenken, die ich kenne. Man liest es förmlich mit angehaltenem Atem. Es ist wie eine grandiose Ballade – über Abhängigkeit, Sehnsucht und Liebe und über das Leben, das so viel echter sein kann als gedacht“, hat Daniel Schreiber gesagt und er hat Recht.

Alle, die sich nicht sicher sind, ob das, was sie trinken noch okay ist, sollten ‚Rausch und Klarheit‘ lesen. Alle, die denken, dass nur die Anderen süchtig werden, weil das Nicht-süchtig-werden eine Frage von Disziplin ist, sowieso. Jugendliche, die glauben, das Trinken cool ist, auch. Mir hat es geholfen, Menschen zu verstehen, die süchtig wurden und gleichzeitig bin ich mir ziemlich sicher, dass eben die genau dieses Buch brauchen, um besser zurück in ein helles, nüchternes Leben zu finden.

Genug geschwärmt, nur eins noch: Wer mehr zum Buch wissen möchte, dem sei der Podcast SodaClub von Mia Gatow und Mika Döring wärmstens ans Herz gelegt. Jeden Sonntag erscheint eine neue Folge über ‚Alkohol, Liebe, Sucht und Unabhängigkeit‘. Folge 197 hat ‚Rausch und Klarheit‘ zum Thema. Außerdem findest Du eine Leseprobe auf der website des Verlags.

Wer nun das Buch kaufen möchte, sollte vielleicht vorher im Buchladen der Wahl nachfragen, ob es vorrätig ist … Weil ich mir (natürlich) wünsche, dass es zwischenzeitlich überall ausverkauft ist, aber auch aus eigener (eher leidvoller) Erfahrung: ich habe es bei Hugendubel gesucht (nicht mein Lieblings-Buchladen, aber in der Nähe und ich kam dran vorbei): erst bei den Bestsellern, da war es nicht. Dann bei Gesellschaftsliteratur, da war es auch nicht. Als ich es bei Lebensratgebern nicht gefunden habe, war ich tatsächlich fast erleichtert und habe dann doch an der Kasse nachgefragt.

Was soll ich sagen? Das einzig vorrätige Exemplar war unter ‚Gesundheit‘ einsortiert. Zwischen ‚Nahrung fürs Leben‘ und ‚Masterplan Gesundheit‘. In so vieler Hinsicht so falsch – ich konnte es dort nicht lassen. Es ist jetzt meins.

Irgendwie Fügung, nachdem Büchertisch und ausverkauftes Theater am vergangenen Montag nicht zusammenpassen wollten. Fünfzig Bücher mehr wären da lässig auch verkauft worden, zumal Mia Gatow jedes einzelne gerne signiert hat. Aber darauf waren Verlag und Thalia offensichtlich nicht vorbereitet. Nur mal so gefragt: Warum nicht??

Vielleicht gucke ich jetzt einfach, wo weitere Lesungen stattfinden und fahre Mia Gatow mit meinem Buch hinterher. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr mag ich den Gedanken.

💙

Ein Blogpost, ganz ohne Wolle. Obwohl … Bei der Lesung saß links neben mir saß eine junge Frau. Wir haben uns kurz gegrüßt, als sie sich setzte. Das war’s. Ich unterhielt mich danach wieder mit dem Mann, sie sprach nach links. Es war noch Zeit bis zum Beginn der Lesung. Und irgendwann sagte sie (nicht zu mir, aber so, dass ich es hören konnte) „Stricken ist schon echt krass. Kann ich leider nicht.“ Kontext? Zusammenhang? Keine Ahnung. Aber rückblickend ist das genau so ein Moment, in dem ich gerne geistesgegenwärtig gewesen wäre. War ich aber nicht. Aber wenn Du das jetzt liest – ich bringe es Dir gerne bei 😉

Rausch und Klarheit von Mia Gatow, erschienen am 18. September 2024 bei GOLDMANN, 304 Seiten ISBN: 978-3-442-31753-0

Transparenzhinweis: Das besprochene Buch habe ich gekauft. Die in dieser Rezension geäußerten Ansichten und Bewertungen spiegeln ausschließlich meine persönliche Meinung wider und wurden in keiner Weise von Verlag oder Autorin beeinflusst oder vorgegeben.

verlinkt zum Samstagsplausch von Andrea

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Projekte

Dank Ravelry weiß ich, dass ich im vergangenen Jahr 63 Projekte begonnen und beendet habe. Darunter 24 Paar Socken, 18 Mützen und 6 Pullover. 19.167 Meter gesamt.

NEUNZEHNTAUSEND-EINHUNDERT-SIEBENUNDSECHZIG! Liest sich verrückt, oder? Rund 370 Meter in der Woche, also ungefähr zwei Paar Socken. Das liest sich schon besser. Dennoch eine (für mich) unfassbare Zahl. Meine Wollvorräte müßten längst im Minusbereich sein. Sind sie aber nicht.

Wie dem auch sei, vieles von dem, was ich gestrickt habe, habe ich verschenkt und nun macht es mich glücklich, einzelne Projekte immer wieder zu treffen. Die Mützen zum Beispiel, die die Freundin, der Kollege und der Handwerker tragen.

Oder die Socken, die eine andere Freundin so begeistert haben, dass sie mir gerade erst ein Bild geschickt hat. Sogar mit Ostsee im Hintergrund.

Aktuelles Highlight war jedoch die winzige Schwester eines Freundes vom Teenager, die ich vergangenes Wochenende anläßlich eines Basketballspiels gesehen habe: die Mütze, der kleine DALA Pullover und sogar die Socken – alles von mir. So viel Wertschätzung. So wunderbar!

Mal sehen, welche Projekte 2024 entstehen. Vielleicht gelingt es mir ja, meine Wollvorräte weiter zu dezimieren … 🙃.

Andrea hat sich vorgenommen, keine Wolle für Projekte mehr zu kaufen. Nur, wenn es unbedingt sein muss … Stricken mit dem, was da ist. Ein schöner Vorsatz. Ich werde das beobachten 😉

 

 

Gregor

Der große Sohn hatte am Abend meine Telefonnummer am Zentralen Omnibusbahnhof hinterlassen, wo täglich volle Reisebusse und Privatwagen mit erschöpften Menschen aus der Ukraine eintreffen. Eine unglaublich gut organisierte Gruppe Freiwilliger hilft, diesen Menschen die Ankunft in Berlin ein bißchen leichter zu machen, indem sie ihnen zu essen geben, sie mit dem Nötigsten ausstatten und dann in Privathaushalte vermitteln.

Am nächsten Morgen kam ein Anruf, mit der Bitte, Yegor* aufzunehmen und ich sagte zu.

Yegor – das sei russisch für Gregor, meinte der junge Mann aus Kiew, als er ankam. Gregory auf englisch, aber Gregor wäre ihm lieber. Und dass er Student für angewandte Physik sei.

Eine der Freiwilligen hatte ihn hergebracht. Wenn alles okay wäre, würde sie gerne gleich wieder fahren. Es müßten noch so viele Menschen untergebracht werden. ‚Viel Glück‘ hat sie ihm noch gewünscht, dann war sie weg.

Gregor war nervös. Unsicher. So verständlich. Sein Vater war in der Ukraine geblieben. Der habe ein Haus, genug zu essen und ein Gewehr. Der käme schon klar. Nicht so seine Großmutter. Gregor hatte sie deshalb gleich zu Beginn des Krieges nach Polen zu Bekannten in Sicherheit gebracht. Würde er polnisch sprechen, wäre er geblieben, meinte er. So entschied er, weiterzureisen nach Berlin.

Er wollte mir erklären, warum er nicht zurück ging in die Ukraine. Musste er nicht, ich konnte es sehen. 21 Jahre alt und im dritten Semester an der Uni. Das Gefühl, dass das Leben gerade erst anfängt und jetzt Krieg. Er liebe sein Land, sagte er, sei sich aber nicht sicher, ob er schon bereit sei zu sterben.

Wie würden unsere Jungs entscheiden? Mir wird anders, wenn ich daran denke.

Nachmittags kam der Teenager nach Hause und brachte zwei Freunde mit. Der eine Italiener, der andere ein Serbe. Dennoch beide Berliner. Ein Zufall, denn normalerweise wäre Training gewesen. Gestern nicht. Also spielten sie Basketball in der Einfahrt – mit Gregor (der erstaunlich gut zu können schien). Später haben sie dann zu viert am Tisch gesessen, Spaghetti Bolognese gegessen, gelacht und geredet. Deutsch und englisch durcheinander.

Über die ukrainischen Farben, den Preis für einen guten Döner und deutsche Fahnen in Vorgärten. Über korrupte Politiker und diesen ukrainischen Fußballspieler, der supertalentiert sei, aber leider dumm. Über das Geräusch von Bomben, die Klitschko-Brüder und Polarkoordinaten. Sie haben die Sprachen gezählt, die jeder von ihnen spricht (zusammen: 8) und eine unbeschreibliche Menge an Nudeln in sich rein geschaufelt.

Ein Italiener, ein Serbe, ein Ukrainer und ein Deutscher. Berliner Alltag. Alles wie immer also und irgendwie gar nicht.

Abends kam der große Sohn ein Päckchen abholen (auch das ein Zufall. Gibt es Zufälle?), das ich an dem Tag für ihn angenommen hatte. Auch er unterhielt sich gerne und lange mit Gregor. Wie schwer es sein kann, als Neuankömmling in Berlin Fuß zu fassen, wie mühsam die Wohnungssuche ist (er sucht jetzt seit zwei Jahren!) und wie cool der Frühling. Wie hart es sein muß, mit 21 sein Land verteidigen zu müssen. Wie nachvollziehbar zu fliehen, mit nichts als einem kleinen Rucksack.

Um elf waren dann alle irgendwo in Betten oder auf Matratzen. Ruhe im Haus – nicht in meinem Kopf.

Heute morgen kam Gregor erst spät in die Küche. Dafür im Anorak und mit Rucksack. Nein danke, kein Frühstück. Er habe Essen dabei gehabt und gegessen. Jetzt wolle er weiter. Nach Kaiserslautern, da habe seine Mutter Freunde, die ihn erwarten würden.

Vorher würde er allerdings gerne in das Berliner Ankunftszentrum in Reinickendorf. Er hätte viele Fragen und das dringende Bedürfnis mit anderen Ukrainern zu sprechen, deshalb könne er leider nicht bleiben.

Er ging noch mit in ein Testzentrum, um (negativ getestet, geimpft ist er nicht) mit den Öffentlichen fahren zu können. Ich habe ihm die Corona App erklärt, die U-Bahn und ihm  FFP2-Masken gegeben. Er weiß jetzt, dass er überall in Deutschland unglaublicher Bürokratie begegnen wird und deshalb bitte nichts vorschnell unterschreibt. Lieber erstmal schicken, dann gucken wir zusammen. Das war’s.

Dann fuhr er weg.

Eben kam Nachricht von ihm. „Yet everything is good“. Ob er jemals in Kaiserslautern ankommen wird?

Ich denke, ich lasse sein Bett erstmal bezogen.

*Der Name ist geändert und auch der Tag, an dem er bei uns war. Alles andere ist so, wie es war.

Gestrickt habe ich kaum in der vergangenen Woche; dennoch geht dieser Post zu Andrea

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Zu viel – zu wenig

Zu viel – zu wenig. Zu viel zu tun, zu wenig gestrickt. Und ohne zu stricken läßt sich ein Blog über Wolle kaum füllen. Damit ist eigentlich alles gesagt.

‚Zu viel – zu wenig‘ passt auch, wenn ich an den Umzug der Schwiegermutter denke, der uns die letzten Wochen in Atem gehalten hat. Fast 40 Jahre war sie im alten Zuhause, erst mit dem Schwiegervater und den Kindern, später alleine. Unfassbare Mengen an Büchern, Papieren, Schubladen, Schränken, Porzellan und gelebtem Leben … 🙈. Wochenende für Wochenende sind wir hingefahren, (wer die Strecke kennt, weiß, dass das unter 5 Stunden nicht machbar ist), haben geräumt, verteilt, verschenkt, entsorgt und sind dann wieder zurückgefahren.

Viel zu viel Zeug und viel zu wenig Platz dafür im neuen Zuhause. Deshalb war der Caddy jedes Wochenende randvoll mit Dingen, die nun hier sind, einen Platz brauchen und benutzt werden wollen, weil ich es der Schwiegermutter versprochen habe.

Nach jedem Wochenende dann ein neuer Montag. Mit Arbeit, Haushalt, Garten. Und mit jedem Wochenende wurde ich einen Schritt langsamer.

Gestern dann Migräne. Überraschung? Eher nicht.

Heute nun ein erstes Wochenende ohne Pläne. Einfach nichts machen. Sortieren und räumen vielleicht. Wir waren zu viel unterwegs und zu wenig zu Hause. Wären die kleinen Engel nicht schon da, wäre hier noch nichtmal Advent.

Immerhin hat der Teenager einen Adventskalender. Ich war erstmalig unsicher, nachdem er vergangenes Jahr mit so viel Nachdruck meinte, den bräuchte er nun wirklich nicht mehr. Letztlich habe ich den Kalender dann doch befüllt. Weil ich ihn sehen möchte, um zu glauben, dass Weihnachten wird.

Kleine Geschenke an den Adventssonntagen, ein Nikolaus zu Nikolaus, Lieblingssüßigkeiten unter der Woche. Ohne Geschenkpapier, alles einfach nur in die kleinen Taschen gesteckt und siehe da – die Freude war unerwartet groß. Beim Teenager und damit auch bei mir.

Im Vorjahr steckte jeden Tag eine Frage zum Lieblingssport in den Taschen. Die kleinen Zettel habe ich dann über’s Jahr gehütet und vor wenigen Wochen an die Basketball-Freundin geschickt. Jetzt rätselt sie Morgen für Morgen mit ihrem Mann und schreibt mir, wieviel Spaß sie daran haben. Adventskalender-Recycling hat sie es genannt und mir im Gegenzug ihren Pinguin-Kalender aus dem Vorjahr geschickt. 365 Pinguine hinter 24 Türen – keine Ahnung, wann ich zuletzt einen Adventskalender hatte. Und auch das war große Freude. Adventsfreude sozusagen.

Das war auch nötig. Denn irgendwie hat es sich (für mich) noch nie so wenig nach Weihnachten angefühlt wie in diesem Jahr. Andrea schreibt heute morgen von Weihnachtsgerüchen und vollen Geschäften, vom üblichen ‚zu viel – zu wenig‘ im Dezember. Von zu vielen Menschen in der Stadt und alle mit zu wenig Zeit, wenn sie sich auf engstem Raum aneinander vorbei schieben.

Merkwürdige Zeiten, in denen wir leben. Wäre es doch so viel besser, wenn alle zu Hause blieben!

Sowas Ähnliches meinte auch der Teenager heute morgen. Es war noch dunkel als er sich auf den Weg in die Schule machte. Sein ‚zu viel – zu wenig‘ bedeutet: zu viel Unterrichtsstoff und zu wenig Zeit dafür. Deshalb müssen alle Zwölftklässler:innen heute, am Samstag, in die Schule, um eine vierstündige Philosophie-Klausur zu schreiben. Die nächste Arbeitist für kommenden Samstag angekündigt … 🙈.

Dann doch lieber räumen. Genau das werde ich tun, wenn der Mann und ich gefrühstückt haben. Und wenn ich irgendwann mal wieder gestrickt habe, kommen auch wieder Bilder dazu.

Bleibt mir bis dahin gewogen.

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Sonntags Top 7 im Juli

Über Andrea’s Samstagsplausch habe ich Antetanni’s Blog und ihre Sonntags Top 7 entdeckt. Woche für Woche fragt Antetanni hier nach den immer gleichen sieben Themengebieten: Lesen – Musik – Flimmerkiste – Erlebnis – Genuss  – Web-Fundstück/e – und Hobbys. Seit Juni 2021 bin ich einmal im Monat mit dabei.

Hier sind meine Sonntags Top 7 für Juli:

Lesen

Entgegen allen Vorsätzen habe ich nicht gelesen. Nicht ein einziges Buch. Die Tage sind zu kurz, die to-do-Liste zu lang, die Prioritäten sind andere. Stattdessen höre ich Podcasts wann immer es geht. Aktueller Favorit ist Heavyweight.

Heavyweight ist ein von Jonathan Goldstein entwickelter und produzierter Podcast, in dem er versucht, Menschen dabei zu helfen (und tatsächlich auch hilft), ein Ereignis aus ihrer Vergangenheit, das sie belastet, so zu klären, dass sie es abhaken oder annehmen können.

„Each episode finds the host Jonathan Goldstein moderating a fraught moment intensified by years of distance: a time when someone broke a promise, or another person’s heart. The hurt is still there—sometimes for everyone, sometimes for just one person who can’t let something go. Goldstein leads special-ops soul-searching missions, seeking common ground between the aggrieved and the blissfully ignorant“ (The Atlantic).

Da sind die Geschwister, die als Kinder getrennt wurden und die 50 Jahre später von der damals verantwortlichen Sozialarbeiterin wissen wollen warum. Oder Bobbby, der sich bis heute schämt für eine seiner Ansicht nach grauenvolle McDonalds Werbung, die er gemacht hat. Oder Ashley, die wissen möchte, warum ihre (verstorbene) Großmutter die Liebe ihres Lebens nicht geheiratet hat. Gestern habe ich gehört, wie Goldstein versucht Adam zu helfen, der sicher ist, vor Jahren Fidel Castro in Kanada gesehen zu haben, aber keiner glaubt ihm.

Goldstein zur Seite steht dabei immer Kalila Holt, die einen so wunderbaren Humor hat, dass ich Folgen, die sie moderiert fast noch ein bißchen lieber habe. All das ist nicht super intellektuell, aber irgendwie herzerwärmend und zumindest im Moment genau dass, was mir gut tut. Abgesehen davon verbessert es mein Englisch.

Musik

Zur Zeit höre ich fast ausschließlich klassische Musik. Klarinette und Oboe sind ganz hoch im Kurs. Das Adagio aus dem Konzert für „Klarinette und Orchester A-Dur KV 622“ von Mozart zum Beispiel. Oder alles, was Albrecht Mayer auf der Oboe spielt. Toll ist auch das Ave Maria, gesungen von Inessa Galante.

Erlebnis

Das müßte diesen Monat eigentlich eher Highlight heißen. Mitte Juli sind der Mann und ich spontan für acht Tage verreist. Vier Wünsche hatten wir an unser Urlaubsziel: (1) Mit dem Auto erreichbar, (2) am Meer, (3) auch bei kurzfristiger Buchung bezahlbar und (4) nicht überlaufen. Daraus wurden Ferien in Gdynia an der polnischen Ostseeküste. Da haben wir uns dann vom Wind durchpusten lassen, sind Kilometer am Wasser entlang gelaufen, haben (natürlich) alle öffentlichen Verkehrsmittel ausprobiert (immer noch das Schönste für den Mann), haben Piroggen und Fisch gegessen, waren einzige Passagiere eines großen Fährschiffes, haben uns Gdansk angesehen, ein französisches Café und seinen französischen Inhaber kennengelernt und sind vielen herzlichen und hilfsbereiten Polen begegnet.

Und natürlich habe ich überall kleine Blätter verteilt, in der Hoffnung, dass Menschen sie finden und sich darüber freuen.

Unser Zuhause in dieser Woche war eine Wohnung keine 100 Meter vom Meer entfernt, im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses mit umlaufendem Balkon und Baumkronen auf Augenhöhe. Allabendlich ins Grün zu gucken und dabei den Möwen zuzuhören, war ebenso skurril wie erholsam.

Es heißt, dass das geschriebene Polnisch so schwer ist und die Grammatik so kompliziert, dass nicht mal alle Polen es fehlerfrei beherrschen. Das glaube ich sofort. Für uns waren schon Schilder und Speisekarten eine Herausforderung. Kaum ein Wort ließ sich aus den Sprachen, die ich kann/kenne, herleiten. Noch weniger Worte konnten wir fehlerfrei aussprechen. Wie gut, dass die meisten Polen, die wir um Hilfe baten, englisch oder deutsch konnten. Viel gelacht haben wir bei all dem auf jeden Fall 🙃.

Genuss

Ein paar Tage habe ich noch frei und genieße das unendlich. Gleichzeitig bin ich fasziniert, wie lange es dennoch dauert ‚runterzukommen, to unwind (tolles Wort!). Und je älter ich werde, um so länger dauert es wohl. Also so sitze ich, gucke untätig in die Gegend und die Zeit vergeht.

Wie jeden Sommer ist mein Blog darüber eingebrochen – zumindest empfinde ich es so. Kaum ein Fünftel der Besucher:innen, die zu allen anderen Jahreszeiten hier vorbei kommen, sind momentan da. Egal, was ich zeige oder schreibe. Ein Sommerloch. Und wie jeden Sommer frustriert es mich anfänglich, ehe ich es als gegeben hinnehmen kann.

(Warum ich das jetzt unter ‚Genuß‘ schreibe? Weiß der Himmel. Es hat sich so ergeben.)

Flimmerkiste

Wir sehen Nachrichten und denken an die, die in dem Hochwasser alles verloren haben, deren Leben nicht mehr so ist, wie es mal war. Freunde seit Kindertagen ebenso, wie völlig Fremde. Luftaufnahmen, die mich sprachlos machen. Es heißt, der Pegel der Ahr sei in kaum 15 Minuten um 7,50 Meter gestiegen. Die Gewalt des Wassers, die Hilflosigkeit der Menschen, die Toten und Vermissten – es treibt mich um.

Helfen kann man vor Ort oder durch Spenden. Eine Übersicht wie das funktioniert, wie man am besten in die betroffenen Regionen kommt, was man mitbringen sollte und warum Sachspenden nicht mehr benötigt werden, ist hier.

Web-Fundstück/e

Keine Webfundstücke. Dazu war ich zu wenig online in letzter Zeit. Warum sollte ich anders sein als andere? Auch ich lese momentan weniger Blogposts, kommentiere weniger, bin weniger auf Instagram.

Hobbys

Hier müßte jetzt eigentlich was Tolles kommen, irgendwas, was diesen Blogpost ein bißchen aufpeppt – wenn ich schon nicht lese, Ferien habe und Zeit. Kommt aber nicht. Denn ich habe tatsächlich vergessen mein Strickzeug mit in die Ferien zu nehmen. Genau: ich (!) bin ohne (!) Strickprojekt verreist, weil ich den gepackten Projektbeutel mitten in der Küche stehen gelassen habe … Besser kann man wohl kaum beschreiben, wie urlaubsreif ich war.

Irgendwie geistesgegenwärtig habe ich allerdings noch nach dem angefangenen Knäuel gegriffen, das hier noch von der Talmadge Cloche lag, ehe ich die Haustür hinter mir zugezogen habe. So ganz ohne Wolle war ich also doch nicht. Und in Gdynia gibt es ein Wollgeschäft, in dem ich ein 2er Kolibri Nadelspiel gefunden habe. So habe ich immerhin ein Paar Socken anfangen können.

Mittlerweile ist nicht mehr das Kolibri-Nadelspiel, sondern die Lieblingsnadel im zweiten Sock und ein Ende ist absehbar. Vorausgetzt, die Wolle reicht (was sie nicht tut. Das verdränge ich jetzt aber erstmal).

Was hast Du gemacht im Juli? Wie geht es Dir?