Der 12tel Blick im Januar 2025

Der 12tel-Blick ist eine kreative Foto-Challenge, vor Jahren initiiert von Tabea Heinicker und seit 2018 zu Hause im Blog von Eva Fuchs.

Die Regeln des 12tel-Blicks sind ganz einfach: jede*r sucht sich ein Motiv  und fotografiert es in 2025 jeden Monat einmal (an egal welchem Tag), wobei Standort und Blickwinkel im besten Fall identisch sind. Dadurch entsteht am Ende des Jahres sowas wie ein Zeitraffer, der zeigt, wie sich die Welt um einen herum verändert hat.

Das Motiv, egal ob Natur, der eigene Küchentisch, der Blick aus dem Fenster oder die Großstadt, kann frei gewählt werden und ist – je nach Licht, Wetter und Jahreszeit – in jedem Monat das Gleiche und doch ganz anders. (Ausführlicher und wohl auch schöner kann man das hier nachlesen).

Ich habe den 12tel Blick nun schon eine Weile in verschiedenen Blogs verfolgt und möchte in 2025 dabei sein! Allerdings fällt mir die Motivwahl schwerer als gedacht.

Gerne Natur, weil die Veränderungen dort so offensichtlich sind. Aber was, wenn dann den Sommer über alles Grün ist und monatelang vermeintlich alles gleich? Vielleicht also doch lieber ein Stadtmotiv? Aber was ist interessant genug, um es bewußt ein Jahr lang zu beobachten?

Für den Moment möchte ich deshalb „ein bißchen von allem“. Deshalb drei Bilder im Januar – alle so unterschiedlich, wie spannend. Ob das jeweils der Beginn eines 12tel Blicks ist, werde ich spätestens im Sommer wissen, dem Zeitpunkt, zu dem alle meine Jahresprojekte bisher gescheitert sind …

Da ist zum einen die Kirche in Berlin am Südstern. Sie heißt tatsächlich ‚Kirche am Südstern‘, ist neugotisch, war ursprünglich eine Militärkirche und fasziniert mich immer wieder auf’s Neue: Mitten auf der Strasse, auf einer großen Verkehrsinsel, umgeben vom unablässigen Verkehr. Ein Koloß, über 60 Meter lang, fast 40 Meter breit, mit einem 90 Meter hohen Hauptturm.

Jedes Mal wieder halte ich tatsächlich inne, und vielleicht sogar mit sowas wie Ehrfurcht, wenn ich sie inmitten der Kreuzberger Hektik so groß und erhaben sehe. Zukünftig werde ich dann wohl jedes Mal ein Bild machen: wenn sie im Dunklen von innen leuchtet, wenn sie zu Pfingsten vom Karneval der Kulturen umtanzt wird, wenn die Bäume grün werden und später bunt.

Mein zweiter 12tel Blick könnte Karstadt am Hermannplatz im Berliner Bezirk Kreuzberg sein. In den 1920er erbaut, galt es damals als das größte und modernste Warenhaus Europas. Der expressionistische Bau nach Plänen des Architekten Philipp Schaefer erstreckte sich damals über mehr als 70.000 m², hatte 21 Rolltreppen, 20 Fahrstühle und ein 4.000 m² großes Dachgartenrestaurant. Eine echte Sensation und die Menschen kamen, um das Gebäude zu bewundern und den Blick von der Dachterrasse zu genießen.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude dann schwer beschädigt und am 25. April 1945 von SS-Truppen gesprengt. Damit sollte verhindert werden, dass Vorräte in die Hände der Roten Armee fallen würden. Aber – echt Kreuzberg! – bereits Ende Juli 1945, nur zwei Monate nach Kriegsende, eröffnete Karstadt ein Provisorium im noch erhaltenen Teil des Gebäudes und wurde so zum Symbol des Wiederaufbaus.

Heute heißt es ‚Galeria Berlin Hermannplatz‘, aber ich glaube, so nennt es niemand. Es ist immer noch Karstadt. Mittlerweile steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Seit Anfang 2024 schließt es sukzessive und dann auch wieder nicht. Keine Dachterrasse mehr, aber seit Januar 2025 ist im Erdgeschoss ein großer Discounter.

Was daraus wird, weiß der Himmel. Die Umbaupläne des Signa-Konzerns sind (seit deren Insolvenz) vorerst gestoppt, der Berliner Senat hat für den Moment alle Planungen auf Eis gelegt. Der Bezirk möchte Planungshoheit, wird die aber eher nicht bekommen. Und so, wie es in Berlin eben immer wieder ist, wird der Vorgang eine Weile liegen. Mal sehen, wie viel davon im nächsten Jahr in meinen Bildern sichtbar wird.

Und dann – last but not least – sind da die Holzwaben in meinem Garten. Auch die haben natürlich eine Geschichte, wenn auch keine so spektakuläre, wie die Kirche und das Warenhaus. Ich hatte etwas Ähnliches online gesehen und daraufhin einen befreundeten Schlosser gefragt, ob er mir Waben bauen könnte. Konnte er. Aus rostfreiem Stahl. Seither verdecken sie die Betonwand der Nachbarn . In der Regel klappt das gut – wenn wir viel heizen, klappt es eher nicht. Aber dann sind da immer noch die Waben vor dem Beton und die Aussicht auf irgendwann wieder neues Holz.

Ich stelle mir vor, wie die Waben bis zum Frühjahr zunehmend leerer werden auf meinen Bildern und dann wieder voller. Wie sie unsichtbar werden hinter all dem Grün, um dann im Herbst wieder aufzutauchen. Vielleicht kümmere ich mich irgendwann um die Reste der Lärche, die im Vordergrund liegen. Vielleicht aber auch nicht. Wir werden sehen.

Auf jeden Fall ist es spannend, beim 12tel Blick dabei zu sein, andere Bildmotive zu entdecken und die zugehörigen Geschichten zu lesen. Ich freue mich auf neue Blogs, viel Inspiration und hoffentlich auch Kommentare.

Und bis dahin hat mir Andrea hoffentlich auch nochmal erklärt, wie das mit den Bild-Collagen geht … 🙃.

 

 

 

Gleichberechtigung

Frauen haben „mit Gleichberechtigung übertrieben“ hat eine Freundin neulich gesagt und Quotenfrauen seien „totaler Quatsch“. Wir sind daraufhin kurz aneinander geraten. Aber eben nur kurz und seither rumort das in mir. Weil beides so unbedingt gegen meine Überzeugungen geht und weil es von einer Freundin kam.

Deshalb wieder mal keine Wolle heute. Stattdessen meine Gedanken zu Gleichberechtigung und Quotenfrauen.

Frauen haben „mit Gleichberechtigung übertrieben“ – Auslöser für diesen bemerkenswerten Satz war die Tatsache, dass sie, beide Arme voll, in der U-Bahn stand und den Knopf nicht drücken konnte, der die Tür öffnet. Der Mann neben ihr war leider keine Hilfe. Warum auch immer. Spontan würde ich vermuten, er war gedanklich woanders oder am Handy oder müde oder einfach unhöflich. Die Freundin sah das anders: Weil es eben diese Frauen gibt, die „übertrieben“ haben, werden nun alle Frauen behandelt wie Männer und man hält ihnen die Tür nicht mehr auf. Der starke Mann, die schwache, schutzbedürftige Frau …

Da fällt mir so viel zu ein, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Vielleicht mit dem Hinweis, dass das Aufhalten einer Tür eine Höflichkeitsgeste ist, die meines Erachtens von Allen und für Alle praktiziert werden sollte, unabhängig vom Geschlecht. Weil es dabei um Freundlichkeit geht, um Aufmerksamkeit, vielleicht auch um Respekt, auf jeden Fall um Höflichkeit, aber nicht um Gleichberechtigung.

Und ja, natürlich macht es Sinn, dabei auf verbale oder nonverbale Signale zu achten (es gibt eben immer noch Männer, die das Aufhalten der Tür als Kränkung empfinden) und ggf. aufgezeigte Grenzen zu respektieren, aber ich bin überzeugt, die meisten Menschen nehmen es gerne an.

Viel wesentlicher ist jedoch: Gleichberechtigung ist mehr als rechtliche Gleichstellung; sie bedeutet Chancengleichheit in allen Lebensbereichen. Und nein, das heißt nicht, dass alle Menschen von Natur aus faktisch gleich sind oder gleichgemacht werden sollen. Gleichberechtigung heißt, dass Männer und Frauen die gleichen Möglichkeiten zur persönlichen und beruflichen Entfaltung haben, ohne durch Geschlechterstereotype oder strukturelle Benachteiligungen eingeschränkt zu werden. Punkt!

Keine Diskriminierung mehr und keine ungerechtfertigte Privilegierung. Ich wüßte nicht, wie man das „übertreiben“ soll – im Gegenteil! Da kann man gar nicht genug für tun.

Ganz oben steht da für mich die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Gewalt, die auf Ungleichheit und Machtmissbrauch basiert und sich in unterschiedlichsten Formen manifestiert: emotional, physisch, sexuell. Laut dem Bundeslagebild Häusliche Gewalt haben im Jahr 2023 insgesamt 180.674 Frauen häusliche Gewalt in Deutschland überlebt. Die Dunkelziffern werden weit höher sein. Im gleichen Jahr wurden 155 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Ein Anstieg um 16,5% im Vergleich zum Vorjahr!

Jede Frau weiß, wie es ist, nachts die Strassenseite zu wechseln, weil jemand hinter ihr geht. Dunkle Strassen und Parks zu vermeiden. Jede kennt Cat Calling (also die Bewertung ihres Äußeren, Beleidigungen aufgrund ihres Geschlechts, sexuelle Annäherungsversuche, anzügliche Bemerkungen und dergleichen mehr). Das kann man zur Anzeige bringen, aber verboten, wie in anderen Ländern, ist es nicht.

Dann wäre da die konsequentere Durchsetzung von Lohngleichheit. Frauen verdienen selbst bei gleicher Qualifikation, Verantwortung und Berufsbiografie weniger als Männer. Gründe dafür sind (neben dem Vorurteil, dass Frauen weniger wert sind) zum Beispiel Karriereunterbrechungen und Teilzeitjobs – beides häufig verursacht durch die ungerechte Verteilung unbezahlter Sorgearbeit.

Obschon gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die fair zwischen allen Geschlechtern aufgeteilt werden sollte, ist Sorgearbeit immer noch primär Aufgabe von Frauen. Als wären Männer nicht Väter der Kinder, die betreut werden müssen, oder Söhne von pflegebedürftigen Menschen. Als würden sie nicht wissen, dass Sorgearbeit lebenswichtige Tätigkeiten umfasst, ohne die weder unsere Gesellschaft noch die Wirtschaft funktioniert.

Geld, Macht und Zeit sind ungleich und unfair verteilt, was die wirtschaftliche Abhängigkeit vieler Frauen verstärkt. Alles wäre sicher einfacher, wenn es eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf (für Eltern, die arbeiten müssen und Eltern, wie arbeiten wollen) gäbe. In einer Emnid-Umfrage haben 51% der befragten Frauen die Doppelbelastung durch Familie und Beruf als Grund für aufgegebene Karrierewünsche angegeben. Ich kann das so gut verstehen.

Und so arbeiten die meisten Frauen immer noch in schlecht bezahlten Branchen und Berufen: Als Erzieherin (96% Frauenanteil), Krankenpflegerin (87% Frauenanteil), Sekretärin (88% Frauenanteil), Friseurin (89% Frauenanteil), Grundschullehrerin (89% Frauenanteil) oder Verkäuferin im Einzelhandel (79% Frauenanteil). „Frauenberufe“, die sich historisch aus traditionellen, häuslichen Tätigkeiten von Frauen entwickelt haben. Berufe, die gesellschaftlichen Rollenbildern entsprechen, bei denen „Fürsorglichkeit“ oder „Unterstützung“ mit weiblichen Eigenschaften assoziiert werden. Aber eben auch Berufe, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch flexiblere Arbeitszeiten bieten. Ich wünsche mir eine Aufwertung eben dieser Berufe.

Und dann ist da noch – tadaa! – die Förderung von Frauen in Führungspositionen, etwa durch Quoten. Womit ich bei dem „totalen Quatsch“ der Quotenfrauen bin. Ob ich das gut finde? Nein, finde ich nicht. Aber anders scheint es offensichtlich nicht zu gehen.

Wir brauchen leider Quotenfrauen. Sonst wird das nichts mit der Gleichstellung von Frauen in Führungspositionen. Denn trotz des Grundsatzes der Gleichberechtigung im Grundgesetz seit 1949 ist die Realität in den Chefetagen deutscher Unternehmen eine andere. Frauen sind in Führungspositionen deutlich unterrepräsentiert, obwohl sie ebenso hervorragend ausgebildet, qualifiziert und leistungsbereit sind wie ihre männlichen Kollegen. Daran haben bisher weder die Selbstverpflichtung der Wirtschaft vor zehn Jahren, noch das Zweite Führungspositionengesetz, das am 12. August 2021 in Kraft trat, etwas geändert.

Kurz: die Unternehmenskultur ist von Männern dominiert, die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind (vorsichtig formuliert) ungünstig und Beides wird sich von alleine niemals ändern.

Die Quote hingegen zwingt Unternehmen dazu, aktiv nach qualifizierten Frauen zu suchen und ihnen Chancen zu bieten. Angenommen also das klappt und in absehbarer Zeit kommt eine kritische Masse von Frauen in Führungsetagen, dann könnte das eine echte Trendwende sein. Wir würden das volle Potential aller Talente nutzen (und nicht nur 50%), die Arbeitswelt wäre vielfältiger und gleichzeitig auch gerechter, Diversität wäre eine Stärke und die verschiedenen Fähigkeiten von Männern und Frauen könnten für eine moderne Führung genutzt werden.

Bei allem ist die Quote kein Allheilmittel, aber (auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole) ein echt wichtiger Schritt auf dem Weg zu tatsächlicher Gleichberechtigung. Oder, um es mit Ex-Bundeskanzlerin Merkel zu sagen, man kann es „nicht vernünftig finden“, dass es börsennotierte Unternehmen ohne eine einzige Frau im Vorstand gibt.

Fun Fact: Studien zeigen übrigens, dass Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil in Führungspositionen bessere Ergebnisse erzielen, wirtschaftlich erfolgreicher und innovativer sind. Außerdem wirken sich Frauen in Führungspositionen positiv auf die Motivation der Mitarbeitenden und das Arbeitsklima aus. Cool, oder? Vielleicht schreibe ich darüber auch mal.

So! Zwischen meinem ersten Entwurf und dem, was hier jetzt noch steht, liegen WELTEN! Ich habe das, was ich ursprünglich geschrieben habe, immer wieder überarbeitet, Emotionen, Ausrufezeichen und fett Gedrucktes entfernt, mich sortiert und mich wieder beruhigt.

Unverständnis bleibt dennoch.

 

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5 Tage in Lissabon

Zwischen den Jahren waren wir in Lissabon. Fünf Tage, auf die ich mich sehr gefreut habe, weil wir (abgesehen von vier Tagen an der Ostsee) in 2024 kaum eine Auszeit, geschweige denn Ferien hatten, und – natürlich – weil ich diese Stadt schon lange unbedingt sehen wollte! So viel hatte ich schon gehört über Architektur, Licht und Menschen.

Mittlerweile sind wir (längst) zurück und es war wirklich wunderbar! Jeden Tag verläßlich blauer Himmel, 15 Grad, aber gefühlt eigentlich wärmer. Pullover-Wetter sozusagen. Jeden Tag sind wir deutlich über 20.000 Schritte gelaufen und haben so ziemlich jedes öffentliche Verkehrsmittel genutzt. Wir sind Fähre gefahren zur Statue Christo Rei und mit dem Bus über die „Golden Gate Bridge“ (die so nicht heißt, aber so aussieht) wieder zurück. Mit der Bahn nach Belem und von da weiter nach Cascais.

Ich hatte die Füße im Meer, bin ungezählte Treppen auf und ab gelaufen, war im Wollladen und auf einer Walking Tour. Ich habe jede einzelne bunte Fliese bewundert, jeden Tag Pasteis de Nata gegessen und fast jeden Tag Fisch. Eine meiner liebsten Freundinnen ist ebenfalls nach Lissabon gekommen, hat Silvester für uns gekocht und im Anschluß haben wir das Feuerwerk von einer Dachterrasse aus gesehen: 10 Minuten bunte Raketen – das war’s. Wenn es hier doch auch so wäre! 12 Rosinen um Mitternacht, zu jeder ein Wunsch, feiernde Menschen in den Straßen und am nächsten Morgen alles schön, kein Dreck, hier und da buntes Konfetti im Kopfsteinpflaster.

Doch, es war wirklich richtig schön!

Gleichzeitig hat es mich traurig gemacht zu sehen, wie arm diese Stadt ist und was Tourismus mit ihr macht. Der Mindestlohn liegt bei 4€/Std, das durchschnittliche Jahreseinkommen bei 20.000€. Das ist nicht viel. Viertel wie Alfama werden von Prominenten und Investoren aufgekauft und saniert, wobei meist nur die Fassaden der alten Häuser erhalten bleiben. In der Innenstadt gibt es mittlerweile mehr Ferien- als Mietwohnungen.

In Supermärkten, Souvenir-Shops, Restaurants und Cafés wurden wir fast ausschließlich von Bangladeshi bedient. Ich hatte keine Ahnung, dass es in Lissabon eine so große Community gibt. Genausowenig habe ich vorher darüber nachgedacht, wie viele Menschen aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien auf der Suche nach Glück in die Stadt gekommen sind.

Ungezählte Restaurants und Cafés. Vor jeder Tür wird geworben, sich doch wenigstens das Menü anzusehen. Die Stadt braucht den Tourismus und gleichzeitig ist es gruselig zu sehen, wie die Massen – sogar im Winter – in die Stadt drücken, sich durch die Straßen schieben. So schwierig, diese Balance zwischen touristischer Attraktivität und Lebensqualität für Einheimische. Das ist auf lange Licht sicher eine der zentralen Herausforderungen in Lissabon.

Sehr, sehr beeindruckend alles! In jeder Hinsicht. Portugiesisch werde ich wohl dennoch nicht lernen. Mal sehen. Aber vorher möchte ich aufschreiben, was ich vor dieser Reise gerne gewußt hätte, aber trotz Reiseführern und Podcasts nicht wußte. Für’s nächste Mal sozusagen.

Um direkt mit Podcasts zu beginnen:  Allen, die englisch sprechen und die gerne Podcasts hören, empfehle ich unbedingt „The Rest is History“. In den fünf Folgen (227-230 und 273) aus 2022 sprechen die Hosts – die Historiker Dominic Sandbrook und Tom Holland – über die Geschichte Portugals von ihren Anfängen bis in die Gegenwart. Vor allen Dingen Folge 230 (Portugal: Football, Fado, and Fascism?) hat mich auf unserer Reise begleitet.

Lissabon wird auch Stadt der 7 Hügel genannt; gefühlt sind es deutlich mehr, ständig geht es bergauf und bergab. Zum Teil so steil, dass die engen Straßen Treppen sind. Wir hatten an Tag 3 Muskelkater in den Waden, der uns bis Berlin erhalten blieb …

Dann sind da die Bürgersteige: Calçada Portuguesa heißt die charakteristische Pflasterung, die aus handbearbeiteten weißen Kalksteinen und schwarzen vulkanischen Basaltsteinen besteht, die auf vielen Plätzen, aber eben auch auf Bürgersteigen zu Mustern zusammengesetzt sind. Leider sind diese, von sog. Calceteiros gelegten Kunstwerke nicht nur uneben, sondern auch superglatt. Wer nicht konstant auf den Boden vor sich guckt, wer Schuhe mit Absätzen trägt, wird früher oder später ausrutschen, stolpern oder sogar fallen. Aber nicht nur das. Die Bürgersteige sind obendrein ungewohnt schmal, so dass eigentlich immer eine Person auf die Straße ausweichen muss, wenn man sich entgegenkommt oder andere überholen möchte. Ausweichen auf Straßen, die ohnehin zu voll sind mit Autos, konstantem Stau, Bussen und Straßenbahnen …

Wer deshalb lieber nicht laufen möchte, nimmt in Lissabon öffentliche Verkehrsmittel. Es gibt vier U-Bahnlinien, außerdem Busse und fünf Straßenbahnlinien, die sog. Elétricos. Letztere schaffen Steigungen bis 13,5% und gehören zu den Wahrzeichen der Stadt. Sie sehen aus wie die Cable Cars in San Francisco und haben die gleiche Aufgabe: sie überwinden die Hügel der Stadt, sind Transportmittel und touristisches Ereignis.

Tickets kauft man an Automaten, wobei beim ersten Mal für 50 cent eine Karte mitgekauft wird, die in Folge immer wieder aufgeladen werden kann (das heißt im Automaten-Display „zapping“). Jede Fahrt, mit egal welchem Verkehrsmittel, kostet 1,80 Euro. Die Fahrtrichtung orientiert sich (wie in anderen Großstädten auch) an der Endhaltestelle.

Besonders in den überfüllten Elétricos, in Menschenansammlungen und in beliebten Stadtvierteln wie Baixa und Alfama werden Reisende n Lissabon täglich von Taschendieben bestohlen. Eigentlich wissen wir es alle: man sollte Wertsachen sicher am Körper tragen, wenig oder kein Bargeld dabei haben, nichts im Auto liegen lassen und grundsätzlich einfach wachsam sein. Aber dann ist man doch mal nachlässig oder müde, läßt sich ablenken oder wird angerempelt …

Wem das passiert (uns zum Glück nicht): es gibt eine Touristenpolizei am Praça dos Restauradores. Sorgen um die eigene Sicherheit muss man sich jedoch nicht mehr machen als an anderen Orten: Lissabon gehört nicht zu den Top 10 der Städte mit dem höchsten Diebstahlrisiko in Europa, und Portugal gilt insgesamt als eines der sichersten Länder weltweit.

Die schöne Stadt wird auch Stadt des Lichts genannt. Licht, das vom Fluß Tejo reflektiert und verstärkt wird. So klar und intensiv, dass ich auch Ende Dezember (und definitiv im Sommer) Sonnenbrille und/oder Base Cap unbedingt empfehle. Beides kann man ja Abends absetzen, wenn der Sonnenuntergang die Stadt in warmes, goldenes Licht taucht. Alleine für dieses Licht hat sich die Reise gelohnt.

Was noch? Lissabon bietet zahlreiche öffentliche WLAN-Hotspots in der ganzen Stadt. Außerdem gibt es kostenlose WLAN-Netzwerke an verschiedenen öffentlichen Orten (Rossio Square und Praça do Comércio zum Beispiel).

Deutlich skuriler ist die Stromversorgung, mit ihren auf Putz oder auf Fliesen verlegten Kabeln. Die Stadt mit ihren engen Gassen und alten Häusern bietet wenig Möglichkeiten, Stromleitungen konventionell zu verlegen. Hinzu kommt, dass die Elektrifizierung tatsächlich erst Anfang der 1980er Jahre (kein Tippfehler) begann. In den wirtschaftlich schwierigen Jahren nach der Salazar-Diktatur war die oberirdische Verlegung die schnellste und kostengünstigste Methode, um flächendeckend Strom bereitzustellen. Also wurden die Kabel kurzerhand außen an den Häusern befestigt. Das schonte die historische Bausubstanz, war schnell umzusetzen und deutlich kostengünstiger als aufwendige Unterputz-Installationen. Weder historische Fassaden noch Fliesen mussten beschädigt werden, und Techniker konnten (und können bis heute) die Leitungen leicht(er) warten.

Heute sind die wild verlaufenden Stromkabel an den Hauswänden charakteristisches Element der Lissabonner Stadtlandschaft. Ebenso wie die Azulejos, die schönen Fliesen. Ursprünglich nur blau und weiß, verzieren und isolieren sie bis heute viele der alten Häuser.

Im 14. Jahrhundert kamen die ersten Azulejos nach Portugal. 1560 wurde dann in Lissabon die erste Töpferwerkstatt gegründet, die sich auf die Herstellung dieser Fliesen spezialisierte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden sie schließlich zunehmend industriell und zu geringeren Kosten hergestellt, was sie zu einem grundlegenden Element der portugiesischen Architektur gemacht hat. Heute sind Azulejos nicht nur ein traditionelles Element, sondern auch ein Medium für moderne Kunst. Es gibt zahlreiche Werke zeitgenössischer Künstler, die Fliesen in öffentlichen Räumen einsetzen.

Die traditionellen, alten Fliesen findet man mittlerweile auch auf den großen Flohmärkten der Stadt. Jedoch ist die Herkunft nicht immer klar. So hat man uns erzählt, dass sie häufig illegal an Fassaden abgebrochen werden, um sie an Touristen zu verkaufen. Und da ist sie wieder, die Balance zwischen touristischer Attraktivität und Lebensqualität für Einheimische, und damit auch das häßliche Wort mit G – Gentrifizierung …

Die Gentrifizierung hat Lissabon fundamental verändert. In historischen Stadtvierteln wie Alfama werden traditionelle Gemeinschaften systematisch verdrängt. Sechs Millionen Touristen jährlich stehen nur 500.000 Einwohnern gegenüber, was – logisch! – enorme Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt hat. Alte Wohnungen wurden reihenweise in Ferienapartments umgewandelt, während einheimische Familien oftmals keine bezahlbaren Alternativen mehr finden, denn die Immobilienpreise sind explodiert.

Zwischen 2011 und 2018 stieg die Zahl der Ferienwohnungen in Lissabon von 500 auf 18.000, allein 10.000 davon in der Altstadt. Viele Alfacinhas (so der Spitzname für die Menschen in Lissabon) müssen nun in Vororte ausweichen oder landen in Notunterkünften, während Vermietende Eigenbedarf anmelden und die Häuser für Touristen umbauen.

Zum Glück gibt es mittlerweile konkrete Pläne, die Zahl der Ferienwohnungen in Lissabon zu begrenzen. Eine Bürgerinitiative hat fast doppelt so viele Unterschriften gesammelt wie nötig, um ein Referendum zu erzwingen. Ziel ist ein komplettes Verbot von Ferienwohnungen in Wohnhäusern. Sollte das Referendum (das in diesem Frühjahr stattfinden soll) erfolgreich sein, könnte dies etwa 20.000 Wohnungen zurück auf den regulären Mietmarkt bringen.

Rückblickend beschämt es mich zu wissen, dass wir in einer dieser Wohnungen gewohnt haben. Wenn wir wieder in diese schöne Stadt fahren – und das würde ich tatsächlich sehr gerne – brauchen wir eine Alternative. Was und wie das sein kann, weiß ich noch nicht. Aber ich verstehe so sehr, warum es vor allen Dingen so viele junge Menschen nach Lissabon zieht!

Lassen sich Arbeit und Freizeit – neudeutsch Workation – dort doch perfekt kombinieren. Das Klima ist wunderbar, die Arbeitsumgebung total inspirierend (finde ich) und überdies verfügt die Stadt mittlerweile über eine ziemlich coole Start Up-Szene mit modernen Co-Working Spaces, die speziell auf die Bedürfnisse digitaler Nomaden und Remote-Arbeitender ausgerichtet sind.

Ich könnte noch lange schwärmen und schreiben. Zum Beispiel über die köstlichen Pasteis de Nata. Wem das nichts sagt: das sind kleine portugiesische Blätterteigtörtchen mit cremiger Füllung, super süß, bestreut mit Zimt und sowas wie ein Nationalgericht.

Darüber schreibe ich vielleicht lieber irgendwann in einem zweiten Blogpost. Oder – noch besser! – Ihr ergänzt eigene Lissabon-Erfahrungen in den Kommentaren. Das würde mich sehr freuen 💙.

 

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Vorbei

Wieder ist ein Kalenderjahr vorbei, (für mich auch) ein weiteres Lebensjahr – so schnell, schneller noch als in den Vorjahren. Oder kommt es mir nur so vor? Der Kopf ist voll und doch will (noch?) nichts davon auf den Bildschirm, bzw. in mein Blog.

Dabei habe ich Silvester eine Schreibfeder aus Zinn gegossen. Schreibfedern symbolisieren „Kreativität und die Fähigkeit, Gedanken und Ideen auszudrücken“, steht auf der Umverpackung. Sie stehen für „Neuanfänge und die Möglichkeit, eigene Geschichten zu schreiben“.

Na dann 🙂

Es könnte aber auch ein Schuh sein. Reise? Veränderung? Fortbewegung? KI sagt, die Interpretation eines Schuhs ermutige dazu, „bewußte Entscheidungen auf dem Lebensweg zu treffen und sich auf bevorstehende Veränderungen einzustellen“.  Passt auch.

Was immer kommt – 2024 ist vorbei, alles steht gefühlt wieder auf Anfang!

Vorbei sind auch die vielen linken Maschen der kleinen Jacke. Zum Glück! Erstmalig ein Projekt, bei dem ich mich tatsächlich auf die Ärmel gefreut habe. Zweifarbiges Stricken ist so viel einfacher in Runden und mit rechten Maschen.

Die Spannfäden sind hoffentlich kurz genug für Kinderfinger, die Knopflöcher habe ich umstickt und mit Pferd, Vogel, Schmetterling, Sternen, Schafen und Herzen hoffentlich den Geschmack eines Kindes getroffen. Es fehlen nur noch die Knöpfe. Schwarze hätte ich, silberne möchte ich. Oder bunte.

Aber erstmal werde ich heute Weihnachten zurück in Kisten packen und die auf den Dachboden bringen, ehe Montag wieder Alltag ist. Andrea schreibt heute, bei ihr sei alles durcheinander – ich kann das so gut nachvollziehen.

Draußen liegt seit gestern Abend Schnee … Schnee in der Stadt ist ganz weit unten auf meiner Wunschliste … Möge diese Winterepisode deshalb ebenso schnell vorbei gehen, wie die letzten Tage in 2024!

Euch allen ein Happy New Year 💫

Weihnachtskarten

Seit 2004 sind Weihnachtskarten fester Bestandteil meiner Weihnachtsvorbereitungen. In den ersten Jahren ein Foto auf Karton und auf der Rückseite handgeschriebene Wünsche, wurde es bald eine gedruckte Karte.

Kleinstauflage, 50 Stück.

Immer das gleiche Motiv, an immer der gleichen Stelle, mitten in Berlin. Erst Kleinkind, dann Kind, Teenager und jetzt junger Mann. Wenn ich die Karten nebeneinander lege, erinnern sie mich an ein Daumenkino – vor gleichbleibendem Ort ist er jedes Jahr größer und älter.

Zu alt eigentlich, um sein Bild noch zu verschicken und doch … Die Weihnachtskarte im vergangenen Jahr sollte die letzte sein, aber er möchte es anders. So lange sein Bild verschickt wird, ist die Entscheidung an ihm, sagt er. Also schicken wir nochmal welche, dieses Jahr vom „Kind“ im Weihnachtspullover (was mich unglaublich freut).

Eigentlich sollten sie längst raus sein, aber sie sind es nicht. Der kleine Stapel liegt vor mir, daneben Briefmarken und Umschläge. Meine Aufgabe für heute. Aber noch prokrastiniere ich …  schreibe einen Blogpost, keine Karten.

Woran es hängt? Zu den Weihnachtskarten kommt immer auch ein Jahresrückblick auf ein Blatt, so groß wie eine Postkarte. Früher ging es da primär um’s Kind: er geht jetzt in die nächsthöhere Klasse, Lieblingsfach ist Mathe, jede freie Minute spielt er Basketball – sowas halt. Über die Jahre ist dann das Haus dazugekommen, die Renovierungsarbeiten, die beruflichen Veränderungen des Mannes, Familie.

All das möchte kombiniert, in wenigen Zeilen zusammengefasst werden, gleichzeitig soll jedes Ereignis ausreichend gewürdigt sein. Manchmal finde ich ein Zitat, an dem ich mich orientieren kann. 2021 war es eins von Erich Kästner: „Entweder man lebt oder man ist konsequent“. (Wir waren konsequent und wegen des Virus primär zu Hause). Davor war es Schopenhauer, „wir denken selten an das, was wir haben, aber immer an das, was uns fehlt“. Den Fokus auf das zu legen, was wir haben und es aufzuschreiben, hat damals gut getan und tut es noch.

In einem anderen Jahr habe ich nur die die Tage gezählt: 72 Handwerkertage, 187 Tage, die der Mann nicht in Berlin gearbeitet hat, 365 Tage das Geräusch eines dribbelnden Balles vor der Haustür.

Jetzt also 2024 …

Nicht alles war gut in diesem Jahr. Trauer und Angst, Wut, Verachtung, Ekel, Überraschung und über allem Freude – die 7 Basis-Emotionen geben es ziemlich genau wieder. Der Tod meiner Schwiegermutter, der neue Job des Mannes, das eigene und das Gast“kind“, dazu die Welt da draußen mit allem, was geschehen ist. „Es ist kompliziert“ war früher ein Status bei Facebook. So fühlt es sich an. Aber genau dazu werde ich jetzt schreiben.

Schreibt Ihr Weihnachtskarten?

 

 

Verlinkt zum Samstagsplausch bei Andrea

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