Für meinen heutigen Post muss ich bißchen weiter ausholen: mit 18 waren meine Leistungskurse in der Schule Geschichte und Englisch. Danach habe ich Hotelfach gelernt, Veranstaltungen organisiert, war selbstständig, dann pleite, habe in Oregon gelebt, mich wieder berappelt, bin über Umwege in Berlin gelandet und habe hier viel Geld verdient.
Als ich schuldenfrei war, habe ich gekündigt, um mich – 18 Jahre nach dem Abitur – an der Humboldt Universität in Berlin einzuschreiben. Die Lieblingsfächer unverändert: Geschichte und Amerikanistik. Parallel zum Studium habe ich 20 Stunden in der Woche gearbeitet, bin einmal um- und dann mit dem Mann zusammengezogen, der Teenager kam auf die Welt. In dem Jahr, in dem er eingeschult wurde, habe ich meinen Magister gemacht. Mit einer Arbeit über Hillary Rodham Clinton.
Heute bin ich Historikerin und Feministin.
Rückblickend weiß ich nicht mehr, wie ich das alles unter einen Hut bekommen habe. Es muss die Frage nach dem Verhältnis von Macht, Sex und Gender in amerikanischen Präsidentschaftswahlen gewesen sein, die mich tatsächlich nie wieder losgelassen hat. („Cracking the highest, hardest glass ceiling“ übrigens auch nicht, aber das ist eine andere Geschichte).
Die Präsidentschaftswahlen 2008 und 2012, dieses Gefühl nach der Wahl 2016 – es hat sich mir eingebrannt, das weiß ich jetzt wieder. Heute ist alles anders als vor vier Jahren und dabei genauso schlimm. Oder schlimmer?
Behauptungen ohne Belege, Schimpftiraden, Verschwörungstheorien, Verleumdungen, Lügen. Eine Strategie der verbrannten Erde, die auf fruchtbaren Boden zu fallen scheint.
Pennsylvania, Georgia, Arizona, Nevada. „Democracy is sometimes messy.“ Die Jahre vor Trump kommen nach Trump nicht wieder, heißt es. „America first.“ Was jetzt rot ist, wird dann blau. „Buy American.“
Aushalten kann ich es nicht, also verweigere ich Nachrichten und Internet. Gleichzeitig will ich alles wissen. Bis ins letzte Detail.
Es ist Geschichte und Englisch. Es ist nicht mein Land. Weiß der Himmel, warum mir das so nah geht.
In den letzten Tagen habe ich immer wieder gehäkelt. Kleine Quadrate aus kleinen Wollresten. Eins nach dem anderen. Vier Gramm sind genug für Jedes. Stäbchen sind meine Lieblingsmaschen. Wußte ich das vorher schon? Nichts macht mich so gelassen, wie wieder und wieder den Faden zu holen und ihn durch eine Schlinge zu ziehen. Ein Mantra, übersetzt in Wolle.
Dabei sollte es das Projekt eigentlich gar nicht geben. Spontan hatten Magda und Andrea mir vergangene Woche davon abgeraten, als ich ihnen die ersten beiden Quadrate gezeigt habe. Sie wären zu unruhig.
Meine Hände haben das offensichtlich nicht gehört. Nun sind es viele Quadrate und es werden immer mehr (so, wie die abgegebenen Stimmen für die Demokraten). Sie werden immer diverser (so, wie die demografische Entwicklung in den USA).
Mit Glück wird es eine Decke. Fertig wird sie wohl noch bevor dieses unwürdige Spektakel zu Ende ist.
Es wird sich so oder so nichts ändern. Aber es könnte jetzt echt hässlich werden, bis dann klar ist, wer Präsident ist. Wir werden sehen … Liebe Grüsse zu dir. Regula
Es wird sich ändern, weil sich der Ton ändern wird, der Umgang, der Stil.
Davon bin ich überzeugt.
Aber in einem gebe ich Dir Recht: noch ist nicht der 20. Januar 2021 und bis dahin wird, fürchte ich, noch viel Scheußliches passieren.
Liebe Grüße,
Carina.
„Geschichte und Englisch. Es ist nicht mein Land“ – schreibst du. Ich bin Theologin, als solche auch Exegetin und Historikin, und Feministin. Warum sollte es uns nicht nahe gehen? Vielleicht haben wir verstanden, dass es sie nur einmal gibt, die EINE Welt. Auch wenn wir Menschen verschieden sind, in allem, was wir sind und haben. Dass die Summe mehr ist als alle Einzelteile, das steht schon am Anfang. Genesis 1. Jedes Tagwerk ist gut, aber erst alles miteiander ist sehr gut. Nachdem es angesehen worden ist, von dem, der es geschaffen hat. In aller Ruhe. Ein spannender Gedanke, fnde ich.… Read more »
Ein sehr spannender Gedanke! Ich werde da jetzt gerne noc heine Weile drüber nachdenken.
Danke!
Carina.
Für mich spiegelt dein angefangenes Werk das wider. Ja, da ist Unruhe drin, aber eben auch etwas, das sich zu entdecken lohnt, Vielfalt, Neugier. Besonders das Quadrat mit dem grün…. Alles zusammen – für den oder die, die es wärmt – wird es viel zu suchen und sehen geben.
Herzliche Grüße
Ingrid
Ich freue mich darauf, dieses „Unruhige“ hier zu zeigen, wenn es fertig ist.
Liebe Grüße
Carina.
Wohl wahr. Unwürdiges Spektakel.
Nun häkelst du das unruhige Ding doch!
Wenn es dich beruhigt, dann weiter
Liebe Grüße
Andrea
Ich bin entschlossen, Dich von der Schönheit dieser Unruhe zu überzeugen.
😘 Carina.
So ein Häkelprojekt liegt auch auf meinem Tisch, nur sind meine Grannys Rund und jetzt weiss ich nicht wie das eine Decke werden soll! Ich finde übrigens deine Quadrate sehr schön, das gibt sicher eine schöne Decke. Die Wahl ist ja mittlerweile entschieden aber der Krimi ist wohl noch nicht zu Ende. Ich habe es durchgezogen und war seit vier Jahren nicht mehr über den grossen Teich geflogen.
L G Pia
Liebe Pia – same here: 2015 war ich zum letzten Mal dort.
Und zu Deiner Decke: guck doch mal auf Ravelry nach Decken mit Sunburst Granny Squares (z.B. hier), vielleicht inspiriert Dich das.
Liebe Grüße
Carina.
Mir gefallen Deine Grannies sehr gut. Ich habe mir vorhin die Reden von Kamela Harris und Joe Biden in Gänze angeschaut und war sehr beeindruckt. Es wird ganz bestimmt nicht einfach und Trump wird noch eine ganze Weile herumwüten und Unwahrheiten verbreiten. Aber die Tatsache, dass die Tochter zweier Einwanderer die erste Vizepräsidentin wird und der komplette Wandel in Stil, Ansprache und Auftreten ist bemerkenswert und stimmt hoffnungsfroh. Abgesehen davon sind beide sehr erfahrene Politiker. Wir werden sehen. Liebe Grüße, Susanne
So ist es – wir werden sehen. Aber Kamala Harris da zu sehen, wo sie jetzt ist, ist toll. Wie hat sie so schön formuliert?
„to the children of our country, regardless of your gender, our country has sent you a clear message: Dream with ambition, lead with conviction and see yourselves in a way that others may not, simply because they’ve never seen it before. But know that we will applaud you every step of the way.“
😘 Carina.
Genau, das war ein Gänsehaut Moment. Allein deswegen lohnt sich Engagement, jeder an seinem Platz. 🤗
Liebe Carina, ich finde Deine Grannys toll. Und diesen Grannys-Spanner. Der ist klasse. Beindruckend, dass Du jedes Fädchen direkt vernähst. Grannydecken sind so amerikanisch. Klassische Deko in Sitcom-Wohnzimmern. Mir gefällt die Aussage hier in den Kommentaren, dass wir alle miteinander verbunden sind. One World, one earth, one planet. Darum ist es mir nicht egal, dass ein Scheusal mit seinen Schergen durch die Gegend trampelt, alles zerschlägt, zerstrört, Unfrieden stiftet und sich schamlos bereichert. Möge diese Ära vorbei sein. #presidentpussyassbitch. Liebe Grüße Pia
uh – ein böser Hashtag 😳. Aber – wie so oft – hast Du mit Allem Recht. Auch mit der Erkenntnis, dass ich Fäden gleich vernähe. Das mache ich bei Grannys tatsächlich immer. Sonst würden das in allerkürzester Zeit Ufos …
Und USA: ich bin mir nicht sicher, ob ich mir nicht wünsche, dass „der Neue“ nicht mehr als ein Übergangsmann wird. Aber vor dem 20. Januar glaube ich sowieso nichts. Das ist noch nicht vorbei.
One world – one earth
Carina.
Liebe Carina, dein Beitrag war schön zu lesen, wie dich das alles irgendwie doch sehr beschäftigt und mit dir verknüpft ist. Und so hast du es in die Wolle hineinfließen lassen, die Unruhe im Kopf. Ich glaube, dass zwar die einzelnen Squares unruhig sein könnten, es ingesamt aber trotzdem ein schönes Bild ergibt. Denn jede*r hat doch ein Farbschema, oder nicht? Somit wird es schon irgendwie stimmig werden.
Stimmig werden – das hoffe ich. In jeder Hinsicht.
Danke Dir 😘
Carina.
Liebe Carina,
ich mag das bunte Chaos der Quadrate und bin gespannt auf das fertige Werk.
Danke für den Einblick in deine spannende Biographie! Ich hoffe sehr, dass der Wechsel von Trump zu Biden zivilisiert vonstatten geht, auch wenn es bislang nicht danach aussieht, und das es Biden gelingt, das Land ein wenig zur Ruhe zu bringen, zu einen.
Alles Gute wünscht Sabine
Das hoffe ich auch.
Sehr!
Fingers crossed, Carina.
Ich habe zwar nicht Amreikanistik studiert, aber eine Menge Zeit in den Staaten verbracht. nach dieser intensiven Zeit und nach 12 Austauschstudenten aus den USA ist es irgendwie auch „unser“ Land. Von daher versthe ich Dein Leiden an den Umständen gut. Uns geht es ähnlich. Wir können nichts tun außer unsere Freundschaften zu pflegen und das Gespräch nicht aufzugeben. Aber das ist schon ziemlich viel! Es tut gut, die Hände zu bewegen und auch im Kleinen etwas zu erschaffen. Bei mir ist es gerade ein gestrickert Schal im Zickzackmuster aus Verlaufsgarn. Bunt ist gut. Da wirkt außen auf innen! Alles… Read more »
Vielen Dank Mecky, dann werden wir gemeinsam „unser“ Land im Auge behalten und dabei die Welt ein kleines bißchen bunter machen.
Das ist ein schöner Plan.
Liebe Grüße
Carina.