Telefonieren

Als ich ein Kind war, war telefonieren etwas Besonderes. Unser Telefon war grün und stand im Wohnzimmer. Wenn jemand telefonierte, hörten zwangsläufig alle mit. Eine Telefoneinheit hatte 21 Sekunden und bevor eins von uns Kindern telefonieren durfte, mussten wir um Erlaubnis bitten. „Wen willst Du anrufen?“ war die Frage, die sich automatisch daran anschloß und „Ist das nötig?“

Meine Mutter drehte die Wählscheibe mit dem stumpfen Ende eines ziemlich kurzen Bleistifts. Das Geräusch des sich zurückdrehenden Rades habe ich bis heute nicht vergessen. Wir Kinder drehten während wir sprachen das Kabel, das Hörer und Gerät verband, um den Finger. „Wendel-Telefonschnur“ hieß das offiziell (habe ich gerade nachgelesen) – niemand hat es so genannt. Oder sagen wir, niemand, den oder die ich damals kannte.

Später hatten wir ein Telefon mit Tasten. Es war kantiger, moderner (nach damaligen Maßstäben), der Hörer war flacher, aber „angebunden“ war es immer noch. Und immer noch hörte die Familie mit. Wie gerne hätte ich damals einfach stundenlang und ungestört mit meinen Freundinnen telefoniert!

Die meisten Teenager von heute könnten das. Schließlich hat jede/r ein Smartphone in der Tasche. Aber sie telefonieren offenbar nicht damit. Ebenso wenig wie junge Erwachsene.

Bitkom nennt Daten, wonach 44% der 16- bis 29jährigen notwendige Anrufe aus Angst (!) aufschieben und 52% lieber Nachrichten schreiben als irgendwo anzurufen. Sie alle befürchten, auf unerwartete Fragen oder Themen spontan nicht angemessen reagieren zu können.

Telefonphobie – googelt das mal!

Was sagt es über eine Gesellschaft, wenn ihre Mitglieder zunehmend die direkte Kommunikation scheuen? Seit ich darüber nachdenke, fällt mir noch mehr auf, wie viele Menschen mit gebeugten Köpfen auf der Strasse, an Bushaltestellen und in der U-Bahn unterwegs sind. Wie Lemminge. Sie alle gucken auf ein leuchtendes Display. Und ganz ehrlich – es ist mir egal, ob sie dabei Candy Crush spielen, eMails schreiben oder dumbscrollen. Ich sehe nur diese Ambivalenz: Jedes Handy verspricht Teilhabe, Unterhaltung, Information oder Verbindung, doch gleichzeitig isoliert es, zieht Aufmerksamkeit von der unmittelbaren Realität ab und führt zu sozialer Entfremdung.

Kaum eine/r weicht anderen mehr aus, lacht sie an, hält eine Tür auf. Gerüche, Geräusche, Farben und Begegnungen – alles egal?

Letzte Woche setzte ich mich in der U-Bahn in einen Vierer, wo bereits eine Frau mit großem Koffer, großen Kopfhörern und großem Laptop saß. Auch sie mit gebeugtem Kopf. Kaum dass ich saß, packte ich (wie eigentlich immer) mein Strickzeug aus. Dieses Mal war es ein schöner Strang Tosh Merino und die Idee, eine neue EasyPeasy Bandana daraus zu stricken. Ich schlug die ersten Maschen an und merkte, dass mein Gegenüber mich anguckte, auf meine Hände guckte und langsam ihren Laptop zuklappte. Dann holte sie aus ihrer Tasche eine angefangene Mütze – orange, vielleicht für ein Kind – und begann Runde um Runde zu stricken.

Ich musste lachen. Habe ich aber nicht. Stattdessen dachte ich, frei nach StarWars: „Come to the dark side, Lady. Together we will rule the galaxy!“

 

Schneller Nachtrag: weil telefonieren früher schwierig war, haben wir nachmittags bei Nachbarskindern oder Freundinnnen an der Tür geklingelt und gefragt, ob sie zum Spielen rauskommen oder – je nach Alter – mit uns an der Bushaltestelle sitzen wollen … was man halt am Nachmittag so machte damals. Das macht heute, im Zeitalter der Playdates, glaube ich wirklich niemand mehr. So, wie auch niemand mehr irgendwo anruft, ohne vorher per WhatsApp zu fragen, ob’s gerade passt.

Mag sein, dass telefonieren früher schwierig war, aber ganau das war dann wohl irgendwie auch ein Glück …

 

Verlinkt zum Samstagsplausch

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6 Comments
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Karin Be
20 Tage zuvor

Mein Festnetz-Telefon steht seit dem Tod meines Vaters eher still in der Landschaft. Das war früher anders, vor allem in meiner Kindheit und Jugendzeit. Was wir recht früh hatten, ein langes Kabel von der Dose an der Wand zum Gerät in grau,Standardmodell. Damit konnte das Telefon in den nächsten Raum getragen werden – mein Vater war im Außendienst. Später stand eine Spardose neben dem Telefon und eine Sanduhr. 😊 zwanzig Pfennig für zehn Minuten, oder waren es acht? Auf jeden Fall ist mir heute noch ein Gespräch lieber, als eine Nachricht, egal ob als Text oder Sprachnachricht. Schönen Sonntag noch… Weiterlesen »

Andrea KArminrot
19 Tage zuvor

Irgendwie lustig. Unser Apparat war grau und wir haben stundenlang telefoniert. Die Eltern hat es nicht gestört. Ich glaube, es war in Berlin frei zu telefonieren. Außer in den Westen.
Mein erstes eigenes Telefon war Bananenförmig und weiß. Eine Telefoniephobie kann ich mir nicht vorstellen, ich telefoniere einfach zu gerne und manchmal frage ich auch vorher nicht, ob es passt.
Auch ich saß in der letzten Woche in der Bahn und habe einige Runden an meinen Socken genadelt. Mir gegenüber saß eine Frau, die an einem Schal gestrickt hat.
Hab eine schöne Woche
Andrea

N. Aunyn
15 Tage zuvor

Als ich nach Berlin zog, galt in Westdeutschland der 8-Minuten-Takt für Ortsgespräche. Als ich dann von der Telefonzelle aus nach Westdeutschland telefonierte, bezahlte ich genau eine Ortsgesprächseinheit für unbegrenzt telefonieren.

Ich möchte gar nicht wissen, was die Energiekosten für den Dauersmartphonegebrauch sind. Und die Gesichter in den Öffis sind leer, wenn sich jede/r im „eigenen“ virtiellen Raum aufhält.

Letzten Sommer saß ich im Zug neben einer Teenager-Mädchengruppe, die sich per Smartphone an besonderen Wolkenstimmungen teilhaben ließ. Das hätten sie live mit den Wolkenstimmungen vor dem Zugfenster auch haben können.