Hühner

Einmal im Jahr kommt meine Freundin aus einem kleinen Ort in der Nähe von Würzburg zur Messe nach Berlin. Jedes Mal sehen wir uns. Das ist seit Jahren so. Wir schaffen es weder davor, noch danach, weder fahre ich zu ihr, noch käme sie ein zweites Mal nach Berlin. Es ist zu weit, zu viel Alltag, andere Prioritäten, vielleicht sind wir auch zu bequem. Was immer es ist – egal – aber wenn sie zur Messe kommt, sehen wir uns. Immer! Da gibt es nichts, was wichtiger wäre.

Anfang November war sie zuletzt hier und wieder haben wir die Erlebnisse eines Jahres in einen Abend gepackt. Wer was erlebt hat oder auch nicht. Was sich wie verändert hat. oder auch nicht. Wie es ihr geht. Und mir. Ein Jahr im Zeitraffer!

Und wieder war so viel passiert! Noch in diesem Jahr wird sie heiraten. Den Mann, mit dem sie seit 13 Jahren zusammenwohnt. „Mein Jürgen“ sagt sie, wenn sie von ihm spricht und es klingt wie ein Doppelname. Ich habe „mein Jürgen“ noch nie gesehen und doch fühlt es sich nicht so an. Sie hat schon so oft von ihm erzählt und sieht dann immer ziemlich glücklich aus.

Während sie erzählt, geschwärmt und gelacht hat – sie ist wirklich ein verrücktes Huhn! – hat sie immer wieder die Wolle angefasst, die hier überall liegt. Ob ich nicht irgendwas Wolliges für sie hätte … Auch das ist jedes Mal das Gleiche. Vorletztes Jahr habe ich ihr Pulswärmer geschenkt, im Jahr darauf Socken. Dieses Jahr wieder ein Paar Socken. Die Guacemole-Socken, fertig geworden im September 2024. Sie hat sie sich ausgesucht. (Ein Hoch auf meine Socken-Geschenke-Schublade!). Es war das einzige Paar „mit irgendwie Grün“.

Denn Grün ist ihre Lieblingsfarbe.

Und nun stricke ich ihr einen Pullover. Einen grünen Pullover mit Hühnern! Weil sie heiratet, weil sie „mein Huhn“ ist – das war sie schon, als wir 1993 zusammen gewohnt haben – und weil Hühner ihre Lieblingstiere sind. Jedes Jahr zeichnet sie eine Karte mit Huhn und schickt sie mir im Advent. Und so, wie andere Menschen Bilder ihrer Kinder zeigen, zeigt sie Fotos von Hühnern. Von Faverolles Hühnern (das sind die mit Federn auf den Füßen) und Cochin Hühnern (die gehören zu den größten Hühnern, die es gibt), aber auch von Dalmatiner Hühnern (wie die aussehen, muss ich wohl nicht sagen) und ganz normalen Haushühnern. Aber immer Hühner.

Da kam die Anleitung für den Henny Penny Sweater genau richtig. Die hatte ich eher zufällig wenige Tage vorher auf Ravelry gefunden. Für mich hätte ich sie wohl nicht gekauft (sie kostet 12 US$), aber für die Freundin ist sie perfekt. Beim Kauf habe ich dann allerdings übersehen, dass es den Pullover in zwei verschiedenen Garnstärken gibt: Fingering und DK. Hätte ich DK gesehen … habe ich aber nicht. Und deshalb Fingering gekauft, wissend, dass ich die Anleitung umrechnen muss … ärgerlich, aber dann doch ein Glücksfall. Der Pullover wird toll!

Ich stricke mit Cotton-Merino von Drops. Das Grün ist in sich meliert und deshalb viel schöner als in meinen Bildern. Vom Muster der Anleitung habe ich nur die Hühner übernommen. Keine Blumen, nichts. (Zu viel Schischi und zu viele Zentimeter für die Passe). Hühnerkamm und Schnabel sind aufgestickt – dabei habe ich die Kamm-Maschen „umgedreht“. Sie haben jetzt Zacken und sehen weniger aus wie eine Mütze. Das gefällt mir viel besser als im Original (die Designerin möge mir das verzeihen).

Den Pullover-Kragen habe ich erst im Nachhinein angestrickt, damit die Passe mehr Halt hat. Ich werde ihn noch umnähen, aber erst, wenn alles fertig ist.

15 Hühner laufen um die Passe. Seit gestern Abend ist der Körper fertig. Mit rotem Rand. Mal sehen, ob ich es heute Abend schaffe, mit den Ärmeln anzufangen. Am 20. Dezember würde ich den fertigen Henny Penny Sweater gerne zur Post bringen. Das ist das Ziel.

Am 29. Dezember ist die Hochzeit.

🐓

Es ist übrigens mein zweiter Pullover mit Hühnern. Der erste war ein Kinderpullover. Und dann war da noch das Emotional Support Chicken, das ich in 4 Tagen gestrickt und offensichtlich nicht verbloggt habe. Beide nicht.  Weder das Chicken, noch sein kleines Geschwister. Ups …

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Unerwartet

Expect the unexpected – sei auf das Unerwartete gefasst. Wenn das so einfach wäre … Zumindest in der vergangenen Woche ist mir das nicht immer gelungen. Die hatte es aber auch in sich.

Montag kam die Absage für einen Job, den ich sehr gerne gehabt hätte. Dienstag habe ich unerwartet vom Tod einer ehemaligen Kollegin erfahren. Wir hatten eine Weile nicht gesprochen; so oft dachte ich, morgen rufe ich sie an. Habe ich aber nicht und nun ist sie gestorben. Mittwoch ist eine Freundin von der Frauenärztin zur Mammographie und gleich weiter zur Biopsie geschickt worden. Und plötzlich ist alles anders.

Donnerstag … ach, Donnerstag, das gehört nicht hierhin, aber schön war auch das nicht. Es kam bei allem keineswegs unerwartet und war deshalb umso ärgerlicher. Nun also Freitag und dann Wochenende. Was macht man mit solchen Wochen?

Zwei Dinge haben mir geholfen: Die Angewohnheit, jeden Abend das Schöne eines Tages aufzuschreiben. Das sicher nicht normale, aber unglaubliche Wetter zum Beispiel. So blauer Himmel bei Temperaturen um die 15 Grad. Die häkelnde junge Frau, die mir Mittwoch in der U-Bahn gegenüber saß (wieder eine! Ich habe offenbar eine Serie) und an irgendetwas mit rosa Noppen arbeitete. Sie hat so überrascht und breit gegrinst, als ich (für sie unerwartet) meine Wolle auspackte – das hat mich durch den Tag getragen.

Dann sind da die kleinen Dinge: aufzuwachen, ohne dass die Schulter weh tut. Der Kollege, der sowieso zur Stadtreinigung fährt und meine Sachen mitnimmt. Der Anruf vom Kind, „nur so“.

All das schreibe ich abends auf. Meistens nur Stichworte, aber immer mindestens drei. Verrückt, wie sich die Gedanken ändern, wieviel unerwartet Schönes dann plötzlich auch an gefühlt unschönen Tagen da war.

Genauso geholfen hat mir – wie kann es anders sein? – ein neuer Pullover. Gestrickt in Rowan Soft Bouclé, ist es eine weiche, warme Wolke geworden. Die Wolle habe ich vor einiger Zeit bereits gekauft, lange bevor Bouclé plötzlich angesagt war. Das kam wohl auch für Rowan unerwartet. Hätten sie das schöne Garn sonst um 60% reduziert? Hellgrau hätte ich gerne gehabt, das war ausverkauft. Also wurde es braun. Auch eine „Fellfarbe“ und damit das, was ich mir gewünscht habe (kam abends natürlich auf die Liste der schönen Dinge).

Die Qualität ist toll! 45% Baumwolle, 23% Alpaca und 22% Wolle. Nur der dünne Trägerfaden (10%) ist aus Polyamid. Gestrickt habe ich mit 6er Nadeln, einen Raglan von oben, iCord an den Bündchen. Kastig, eher kurz und basierend auf der Anleitung des knallroten Mud Sweater, den ich im Frühjahr gestrickt habe. Super einfach, unerwartet schnell. Zugegeben, langsamer als mit herkömmlicher Wolle, denn bißchen gucken muss man schon bei all den Schlaufen und Schlingen im Garn, dennoch habe ich nicht lange gebraucht. Kaum mehr als eine Woche.

Und nun trage ich ihn, fühle mich wie Balu, der Bär und möchte eigentlich nichts anderes mehr anziehen.

Probier’s mal mit Gemütlichkeit,
mit Ruhe und Gemütlichkeit,
jagst du den Alltag und die Sorgen weg …

 

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Telefonieren

Als ich ein Kind war, war telefonieren etwas Besonderes. Unser Telefon war grün und stand im Wohnzimmer. Wenn jemand telefonierte, hörten zwangsläufig alle mit. Eine Telefoneinheit hatte 21 Sekunden und bevor eins von uns Kindern telefonieren durfte, mussten wir um Erlaubnis bitten. „Wen willst Du anrufen?“ war die Frage, die sich automatisch daran anschloß und „Ist das nötig?“

Meine Mutter drehte die Wählscheibe mit dem stumpfen Ende eines ziemlich kurzen Bleistifts. Das Geräusch des sich zurückdrehenden Rades habe ich bis heute nicht vergessen. Wir Kinder drehten während wir sprachen das Kabel, das Hörer und Gerät verband, um den Finger. „Wendel-Telefonschnur“ hieß das offiziell (habe ich gerade nachgelesen) – niemand hat es so genannt. Oder sagen wir, niemand, den oder die ich damals kannte.

Später hatten wir ein Telefon mit Tasten. Es war kantiger, moderner (nach damaligen Maßstäben), der Hörer war flacher, aber „angebunden“ war es immer noch. Und immer noch hörte die Familie mit. Wie gerne hätte ich damals einfach stundenlang und ungestört mit meinen Freundinnen telefoniert!

Die meisten Teenager von heute könnten das. Schließlich hat jede/r ein Smartphone in der Tasche. Aber sie telefonieren offenbar nicht damit. Ebenso wenig wie junge Erwachsene.

Bitkom nennt Daten, wonach 44% der 16- bis 29jährigen notwendige Anrufe aus Angst (!) aufschieben und 52% lieber Nachrichten schreiben als irgendwo anzurufen. Sie alle befürchten, auf unerwartete Fragen oder Themen spontan nicht angemessen reagieren zu können.

Telefonphobie – googelt das mal!

Was sagt es über eine Gesellschaft, wenn ihre Mitglieder zunehmend die direkte Kommunikation scheuen? Seit ich darüber nachdenke, fällt mir noch mehr auf, wie viele Menschen mit gebeugten Köpfen auf der Strasse, an Bushaltestellen und in der U-Bahn unterwegs sind. Wie Lemminge. Sie alle gucken auf ein leuchtendes Display. Und ganz ehrlich – es ist mir egal, ob sie dabei Candy Crush spielen, eMails schreiben oder dumbscrollen. Ich sehe nur diese Ambivalenz: Jedes Handy verspricht Teilhabe, Unterhaltung, Information oder Verbindung, doch gleichzeitig isoliert es, zieht Aufmerksamkeit von der unmittelbaren Realität ab und führt zu sozialer Entfremdung.

Kaum eine/r weicht anderen mehr aus, lacht sie an, hält eine Tür auf. Gerüche, Geräusche, Farben und Begegnungen – alles egal?

Letzte Woche setzte ich mich in der U-Bahn in einen Vierer, wo bereits eine Frau mit großem Koffer, großen Kopfhörern und großem Laptop saß. Auch sie mit gebeugtem Kopf. Kaum dass ich saß, packte ich (wie eigentlich immer) mein Strickzeug aus. Dieses Mal war es ein schöner Strang Tosh Merino und die Idee, eine neue EasyPeasy Bandana daraus zu stricken. Ich schlug die ersten Maschen an und merkte, dass mein Gegenüber mich anguckte, auf meine Hände guckte und langsam ihren Laptop zuklappte. Dann holte sie aus ihrer Tasche eine angefangene Mütze – orange, vielleicht für ein Kind – und begann Runde um Runde zu stricken.

Ich musste lachen. Habe ich aber nicht. Stattdessen dachte ich, frei nach StarWars: „Come to the dark side, Lady. Together we will rule the galaxy!“

 

Schneller Nachtrag: weil telefonieren früher schwierig war, haben wir nachmittags bei Nachbarskindern oder Freundinnnen an der Tür geklingelt und gefragt, ob sie zum Spielen rauskommen oder – je nach Alter – mit uns an der Bushaltestelle sitzen wollen … was man halt am Nachmittag so machte damals. Das macht heute, im Zeitalter der Playdates, glaube ich wirklich niemand mehr. So, wie auch niemand mehr irgendwo anruft, ohne vorher per WhatsApp zu fragen, ob’s gerade passt.

Mag sein, dass telefonieren früher schwierig war, aber ganau das war dann wohl irgendwie auch ein Glück …

 

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Sockenwolle

Sag ‚Kaschmir‘ und ich habe sofort Bilder im Kopf: sowas wie üppige Schals, unglaublich weich auf der Haut, dabei elegant und schlicht.

Sag ‚Sockenwolle‘ und die Bilder sind andere.

Dann sehe ich einen Faden, der auch mal Ribbeln verträgt, Gestrick, das in die Waschmaschine kann und – natürlich – Socken, die ewig halten. Formbeständig, warm und pflegeleicht. Kein Luxus, aber dafür treu.

Vielleicht habe ich Sockenwolle deshalb so gerne. Nicht die von früher, der man den Polyester-Anteil anmerkte. Auch nicht die billige, die diese verfilzten Stellen hat und kratzt. Die Sockenwolle, die ich meine, fängt bei Regia, LanaGrossa, Opal und Ferner an und hört irgendwo bei handgefärbten Strängen auf.

Ganz oft ist deshalb Sockenwolle mein Souvenir-Garn, die Wolle, die ich mir aus dem Urlaub mitbringe. Weil die Farben so schön sind und weil es eigentlich nichts gibt, was man aus Sockenwolle nicht stricken kann.

Caroline Wallmann sieht das offenbar genauso. Nun hat der Stiebner Verlag ihr erstes Buch herausgebracht: Stricken mit Sockenwolle für die Kleinen.

24 Anleitungen für Kinderkleidung, home decor und Spielzeug, komprimiert auf knapp 90 Seiten. Dem vorangestellt ein sehr ausführlicher Technikteil, mit dem auch Anfänger*innen jede der Anleitungen nacharbeiten können.

Aber Caro und mich verbindet augenscheinlich noch mehr: Alle Farben für alle Kinder schreibt sie und wirbt um Verständnis, dass sie keine Kinderbilder ins Netz stellt. Außerdem strickt sie Maschenproben. Sehr nahbar und sehr sympathisch alles!

Ich gestehe, dass ich den Technikteil nur diagonal gelesen habe. Dennoch kann ich sehen, dass alles drin steht, was drin stehen muss: Zu- und Abnahmetechniken ebenso, wie anschlagen und abketten, verkürzte Reihen und Doppelmaschen, die Idee hinter Maschenmarkierern, der Maschenstich und andere kleine Extras, die vielleicht sogar die eine oder andere Expertin bisher nicht kannte. Kurz: Wer noch nie Kindersachen gestrickt hat, findet alles, was sie oder er dazu wissen sollte und wenn dann wirklich noch Fragen sind, enthält jede Anleitung Zeichnungen, Maße oder Charts. Als wäre das nicht genug, gibt es obendrauf einen QR-Code zu Videos in Caros Blog.

Smart. Knackig. Gut. Gefällt mir sehr!

Ebenso wie die Anleitungen. Egal ob Kinderdecke, Mütze, Jacke, Socken oder bunter Pullover – nichts davon ist Hexenwerk. Und genau das macht es so gut. Wer nur bißchen Phantasie hat, strickt damit eine klassische Basisausstattung für ein Baby oder ganz individuelle Einzelstücke für kleine Kinder. Mit Ärmeln zum Umkrempeln, Socken, die mitwachsen und Schalvarianten, die sicher nicht an der Schaukel oder den Speichen des Laufrads hängen bleiben.

Hätte ich nicht gerade erst einen Hasen gestrickt (der bisher nicht verbloggt ist), wäre HaseHase wohl mein Favorit. So liebäugel ich nun mit der doppellagigen, bunten Schlupfmütze, gestrickt aus ganz weicher Sockenwolle – entgegen allen Vorurteilen gibt es die nämlich wirklich.

💙

Transparenzhinweis: Das besprochene Buch wurde mir freundlicherweise vom Stiebner-Verlag als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Die in dieser Rezension geäußerten Ansichten und Bewertungen spiegeln ausschließlich meine persönliche Meinung wider und wurden in keiner Weise vom Verlag beeinflusst oder vorgegeben.

Alle Bilder sind dem Buch entnommen.

Und noch ein Wort zu Rezensionen ganz allgemein: abgesehen davon, dass es in meinen Kopf nicht reingeht, dass Bücher heute mehr Erfolg haben, wenn sie in Instagram Reels oder auf TikTok besprochen werden und nicht in einer klassischen Rezension (ich dachte immer, wer Bücher kauft, liest gerne, aber gut), habe ich wohl auch einfach keine Begabung, in ein Filmchen zu packen, was ich mit Worten beschreiben kann. Seht es mir nach.

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💙

 

 

 

 

 

Einfach gestrickt

„Einfach gestrickt, massentauglich, die Propaganda durch permanente Wiederholung verstärkend“ schrieb die Welt kürzlich zum Tod des russischen Choreographen Juri Grigorowitsch, der mehr als drei Jahrzehnte lang das Ballett des Moskauer Bolschoi Theaters geprägt hat. Gehört habe ich das in der Presseschau des Deutschlandradio, als ich – wie so oft – auf dem Weg ins Büro im Stau stand.

Zeit genug, da eine Weile drüber nachzudenken.

Einfach gestrickt … für mich ist das ein Synonym für krausrechts gestrickte Maschen. Garter stitch. So einfach – so gut. Ein schlichtes, schönes Maschenbild, unkompliziert zu stricken, die Textur „squishy“ (was sich auf deutsch nicht sagen läßt) und das Ergebnis doch immer etwas Besonderes. Ich mag es sehr!

Aber kaum verläßt die Redewendung den Bereich der Wolle, dachte ich, ändern sich Bild und sprachliche Bedeutung. Die einfach gestrickten Werke eines Choreographen – das hört sich nach Vielem an, aber sicher nicht nach einem Kompliment.

Aber wo kommt das her? War das früher nicht anders? Ich meine mich zu erinnern, dass früher deutlich weniger Wertung mitschwang; einfach gestrickt war weder negativ noch positiv konnotiert.

Nun ist Sprache ist ein lebendiges System, das sich ständig weiterentwickelt. Und so hat sich die Bedeutung von einfach gestrickt offensichtlich zunehmend ins Abwertende verschoben. Einfach gestrickt steht jetzt für einfältig, naiv, dümmlich. Denen, die als einfach gestrickt gelten, wird intellektuelle Schlichtheit oder mangelnde Reflexionsfähigkeit unterstellt. Die früher neutrale Beschreibung ist heute eher eine subtile, manchmal sogar offene Beleidigung. Der einfach gestrickte Joey Tribbiani in Friends – kindlich, naiv, zugänglich. Trotzdem ist er der Depp. Ein liebenswerter Depp, aber ein Depp. Verrückt, oder?

Manchmal (selten) ist es noch anders. Manchmal schwingt die ursprüngliche Wertschätzung für Unkompliziertheit und Bescheidenheit noch mit. Wer sein Leben bewusst einfach hält, sich nicht von gesellschaftlichen Erwartungen treiben lässt und mit wenig zufrieden ist, gilt dann ebenfalls als einfach gestrickt.

Geringschätzung und Anerkennung, Spott und Sympathie. Ergebnis meiner Überlegungen? Keins. Es ging mir nur durch den Kopf heute morgen und da dachte ich, ich schreib’s mal auf, ehe ich zu meinem eigenen einfach gestrickt zurückkehre.

Abgesehen davon hat es Spaß gemacht, mal wieder alte Bilder anzusehen und mich an Dinge zu erinnern, die ich vor Jahren (die violette Weste Ambling Alp, die Tomten-Jacken nach der Anleitung von Elizabeth Zimmermann, das Knit Your Love Tuch von Martina Behm …) gestrickt habe.

 

 

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