3 Tage im Rheinland

Berlin ist eine wunderbare Stadt! Ich lebe hier gerne und das seit über 20 Jahren. Länger, als irgendwo sonst. Die Seen, der Himmel, dieses immer irgendwie Chaotische, die unterschiedlichen Kieze – ich glaube nicht, dass ich irgendwann nochmal hier weggehe.

Nun will es das Schicksal, dass der Mann seit mittlerweile vier Jahren in Bonn arbeitet. Anfangs wollten wir abwarten, wie sich das entwickelt, ob es Sinn macht hinterherzuziehen. Offensichtlich haben wir dann den richtigen Moment verpasst. Mein Job, die Schule, der Sportverein, das Haus … Sicher hätte man das alles aufgeben und im Rheinland neu anfangen können. Haben wir aber nicht. Nun ist der Teenager in der Oberstufe – da gehen wir hier bestimmt nicht weg. Nicht in den nächsten beiden Jahren.

Statt dessen WhatsApp und Facetime, Familienleben nur am Wochenende. Einer pendelt immer und im Normalfall ist das der Mann. Freitags nach Berlin, Sonntags zurück. Fast jedes Wochenende 12 Stunden in der Bahn. Vor Corona war das einfacher.

Zum Glück ist der Teenager (der natürlich seinen Vater liebt, aber wenig motiviert ist, am Wochenende nicht mit Ball in der Halle oder mit seinen Freunden zu sein) mittlerweile alt genug, dass man ihn auch mal alleine lassen kann. Das heißt, es spricht nichts dagegen, dass wir uns abwechseln der Mann und ich, dass ich jetzt häufiger mal nach Bonn fahre.

Vor zwei Wochen habe ich das gemacht.

Was soll ich sagen? Ja, Berlin ist eine tolle Stadt, aber mein Herz liebt das Rheinland. Da bin ich groß geworden. Da komme ich her. Der Dialekt, der Humor, das Klima – das gibt mir sofort ein Gefühl von Zuhause, was ich nirgendwo sonst habe.

Die drei Tage, die ich dort war, waren wie Ferien. Ferien an einem Ort, den ich früher so gut kannte, wie heute Berlin. Verrückt!

Wir sind spazieren gegangen. Einen Tag in der Rheinaue, einen Tag am Venusberg. Wir haben – wie schon in den 90ern – Kaffee getrunken auf der Terrasse des Extro und Abends ein Kölsch vor dem Lamme Goedzak . Auch das gab es schon vor 30 Jahren. Mindestens! Als ob jemand die Zeit zurückgedreht hätte. Oder angehalten.

Zwischendurch habe ich Mützen gestrickt. Zuerst die eine, die ich meinem kleinen Freund versprochen habe. Er geht auf seinen ersten Winter zu und da braucht er warme Ohren. Dann eine zweite, damit die Mutter entscheiden kann, welche ihm besser steht. Und weil ich mir nicht sicher war, ob die beiden Mützen nicht (noch) zu groß sind für das kleine Kind, habe ich noch eine kleinere gestrickt. Und schließlich eine größere für meine Frankfurter Freundin, die das Bild der ersten Mütze auf Instagram bewundert hatte. Vier Mützen aus Merino-Resten – je bunter, je besser. Drei habe ich mittlerweile verschenkt.

Dieses Wochenende ist der Mann wieder hier. Blätter harken steht auf dem Plan, spazieren gehen, Luft holen. Und (für mich) der karminrote Samstagsplausch.

Montag fängt die Schule wieder an.

Quarantäne

Mittwoch hat mich der  Teenager aus dem Unterricht angerufen. Gleich nachdem der Direktor sie informiert hat: Ein Freund und Klassenkamerad wurde positiv auf Covid-19 getestet. Der Freund, mit dem er Montag drei Freistunden verbracht hat … Also bin ich zur Schule gefahren, habe ihn aus dem Unterricht geholt (in mir ist Dwayne Johnson) und testen lassen.

Plötzlich ist alles ganz nah.

Donnerstag blieb er zu Hause und schlief sich aus. Teenager schlafen morgens gerne lange. Weiß ich, steht überall und doch … Ich fing an, Symptome zu vermuten. War das jetzt Teenager-typisches Verhalten oder Zeichen einer Infektion?

Donnerstagabend kam Entwarnung: Negativ!

Aber um einer Inkubationszeit von mindestens 5 Tagen gerecht zu werden, haben wir entschieden, er bleibt Freitag noch zu Hause. Wissend, dass er in die 11. Klasse geht. Dass jede Stunde zählt, dass Dienstag die erste Klausur geschrieben wird, dass … ach, was solls. Es gibt Wichtigeres.

Freitagmittag rief das Gesundheitsamt an. Der sehr freundliche Mann sagte, wir hätten den Test zu früh gemacht. Der Teenager sei Kontaktperson ersten Grades und deshalb müssen wir in Quarantäne bis zum 12. Oktober. Außerdem müsse der Test am kommenden Montag wiederholt werden. Ich bekam eine „Anordnung der häuslichen Isolation“ per eMail. Unter anderem mit der Maßgabe „zweimal täglich (mit einem Zeitabstand von mindestens sechs Stunden zwischen den Messungen) bei Ihrem Kind Fieber zu messen und Symptome, Temperatur sowie Aktivitäten zeitlich zu erfassen.“

Als der Sohn wenig später aufwachte, hatte er 37,7°. Keine Symptome. Keine Aktivitäten.

Den Nachmittag verbrachte er im Chat und an der PS4 mit dem infizierten Jungen und zwei anderen, die auf ihre Testergebnisse warten. Ich glaube, es hat ihm sogar gefallen. Nachmittags hatte er Fieber: 38,4°. Ab ins Bett!

Abends waren es 38,9° und meine Nerven dünn. Ich habe mich immer für pragmatisch gehalten. Bin ich es nicht?

Wenn ich krank bin – das kann ich. Wenn er krank ist – das kann ich nicht. Auch wenn er schon 16 ist. Nicht in sein Zimmer zu gehen und wenn doch, dann mit Maske. Ihn alleine essen zu lassen (ja, er ißt und der Geschmackssinn funktioniert. Kann ich irgendwann wieder normal denken?), ihn nicht umarmen zu können (zumindest nicht vor dem Ergebnis des zweiten Tests) – das ist so schwer. Weggehen, wenn ich hingehen möchte.

Heute morgen scheint das Fieber weg zu sein: 37,4°.

Wie immer das weiter geht. Es ist nur zur Sicherheit. Niemand weiß, ob er sich wirklich infiziert hat. Meine Nachbarinnen haben angeboten, für uns einkaufen zu gehen. Arbeiten kann ich von zu Hause. Draußen ist Sonne und wir haben einen Garten. Eigentlich ist alles gut. Eigentlich.

Montag kommt nach Samstag – das ist mein Mantra. Was immer jetzt kommt: es hat nach der Konfirmation begonnen. Dieses so schöne kleine Fest. 16 Menschen auf knapp 50qm. Bei offener Verandatür und offenem Fenster. Draußen 12 Grad und naß. Vielleicht haben wir uns ja einfach nur erkältet.

Meine Schwester hat mir kleine rosa Herzen gebacken.

Die esse ich jetzt. Wenn die Dose leer ist, ist der Spuk vorbei.

Geteilt in Andreas Samstagsplausch. (Stricken wir virtuell am Montag?)

 

Hochzeit in Binz

Das Standesamt in Binz auf Rügen hat eine Außenstelle direkt am Strand. Dort waren wir am vergangenen Freitag zu der standesamtlichen Trauung eines mit uns befreundeten Paares eingeladen. So schön, so unkonventionell, so besonders, dass mein Kopf – obwohl wir längst wieder in Berlin sind – gefühlt immer noch dort ist.

Der Müther-Turm wurde 1982 als Rettungsturm gebaut, ist ein Unikat und steht heute unter Denkmalschutz. Während draußen Badegäste vorbeizogen, Kinder im Sand spielten, Strandhasen herumliefen und Möwen auf Beute hofften, gaben sich drinnen zwei Menschen das Ja-Wort, die seit fast drei Jahrzehnten ein Paar sind.

So entspannt, so glücklich und so eins, dass man es auf jedem einzelnen Bild sieht, dass ich von den Beiden (und für die Beiden) gemacht habe.

Nach der Trauung gab’s für die 11-köpfige Hochzeitsgesellschaft die allerbesten Fischbrötchen und später für das Brautpaar Geschenke. Auf der Hochzeitstorte, die keine war, stand Shawn das Schaf, wir saßen in Strandkörben und das Wetter war so perfekt, wie es schöner nicht hätte sein können.

Die Braut trug weder weißes Kleid noch Schleier. Stattdessen ein großes, kobaltblaues Tuch, das ganz wunderbar im Wind flatterte. Der Bräutigam war (bald) ohne Jacke, dafür mit sonnengelbem Brautstrauß, einige der Gäste waren barfuß im Sand. Alle waren ein bißchen Hippies und anstelle von Blumen streuenden Kindern pusteten gestandene Herren Seifenblasen, dass es eine Freude war.

Das glückliche Paar, die grauen Haare der Gäste, das wehende blaue Tuch, der Himmel, das Meer, die vielen Seifenblasen – es war unglaublich, all das zu fotografieren. Unbeteiligte Strandspaziergänger blieben stehen, lachten und taten es mir nach. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Sollte ich meine Highlights in 2020 benennen, dieser Moment wäre unbedingt dabei. So viel Glück, so viel Leichtigkeit, so viel Freude. Was für ein Fest!

Später haben wir (der Mann und ich) sogar einen Wollladen entdeckt – Buttjers un Deerns. Ich glaube, ich habe jedes Knäuel in der Hand gehabt und mich gerne mit der sehr fröhlichen Inhaberin unterhalten, um dann aber  letztlich doch nichts zu kaufen. Erst war ich (zu) unentschlossen, dann fehlte die Zeit, um nochmal dorthin zurückzugehen. Deshalb kein Souvenir-Garn. Schade! Dieser Tag am Strand wäre es unbedingt wert gewesen, „verstrickt“ zu werden.

Ein Bobbel aus Mohair (und Seide?) in einer Regenbogen-Färbung hatte es mir angetan – wenn der Zufall es will, finde ich ihn sicher irgendwann wieder.

Gestrickt habe ich tatsächlich fast gar nicht. Und in den wenigen Reihen, die ich geschafft habe, habe ich prompt gepfuscht. Ich werde es nicht korrigieren. Egal, was der innere Monk sagt. Weil es fast unsichtbar ist und weil es eine Erinnerung ist, an diese Hochzeit. Nicht, weil ich gepfuscht habe, sondern weil jetzt zwei Zöpfe so nett nebeneinander sitzen, dass sie mich unweigerlich an das Brautpaar denken lassen.

Ach, es war schön. Richtig schön! Einem Samstagsplausch würdig 😉

Kaschmirjacken

Meistens lasse ich den Bon als Lesezeichen im Buch. Das habe ich immer schon so gemacht. Wobei ich mir heute deutlich weniger Bücher kaufe, als früher.

Früher, also vor 20 Jahren, habe ich offensichtlich auch John Irving gelesen. Der Bon im Buch ist aus November 1999. (Fun Fakt: damals zahlte man noch in D-Mark). Ich kann mich kaum an die Handlung erinnern, aber ich weiß, dass irgendwo, ziemlich am Anfang, beschrieben wird, wie eine Frau am Hafen auf die Ankunft eines Schiffes wartet. Und weil es kühl ist, trägt sie eine puderrosa Strickjacke aus Kaschmir.

Dieses Bild hat mich nie losgelassen. Und genau so lange möchte ich eine solche Strickjacke haben.

Ein paar Jahre später habe ich mir dann eine schwarze Kaschmir-Strickjacke gekauft, die umgehend zur Lieblingsjacke wurde. Ich habe sie gefühlt täglich getragen. Als die Ellenbogen durch waren habe ich schwarze Flicken gestrickt und aufgenäht. Aber dann wurde sie Opfer der Motten.

Nun gibt man (ich!) Lieblingjacken nicht gerne her, also habe ich jedes einzelne Loch geflickt und die Jacke weiter getragen. Zuletzt diesen Frühling. Und als es zu warm für Kaschmir wurde, blieb sie im Flur auf ihrem Bügel …

Das war ein Fehler. Denn die Motten kamen zurück.

20 neue Löcher in den Ärmeln, weitere 10 am Körper. Ob ich das noch mal flicke? Ich weiß es nicht.

Der Zufall (ja, klar, Zufall, was sonst?) wollte es, dass hier drei Knäuel der neuen Regia Premium Cashmere lagen und drei Knäuel Schachenmayr Alpaca Cloud. Beide zusammen sind super weich, lassen sich mit 3,5er Nadeln aufs Schönste verstricken und genau das mache ich jetzt.

Es ist ein Teststrick, aber irgendwie auch nicht. Soll heißen, es ist kompliziert. Aussagekräftigere Bilder kommen deshalb erst, wenn ich weiß, dass das alles so klappt, wie ich es mir vorstelle (und wenn ich Freigabe habe, Bilder zu zeigen).

Also zeige ich heute statt dessen den hübschen kleinen Käfer, von dem Andrea sofort wußte, dass es ein goldener Rosenkäfer ist. Er saß heute morgen auf meiner Veranda. Unglaublich, was die Natur kann, oder? Gold!

Absolutes Highlight war dennoch nicht der Käfer, sondern Angela, die unter @rixdings auf Instagram schreibt. Sie hat den Sommer über kleine Interviews mit wollbegeisterten Frauen geführt und unter dem Titel #BalkonienGeflüster veröffentlicht. (Die findest Du alle über ihren Instagram Account).

Vor wenigen Tagen hat sie mich (zusammen mit Magda und Andrea) in meinem Garten besucht – „ein Gartenidyll im Berliner Süden“ nennt sie ihn 😍 – und mir Fragen gestellt, mit denen ich sicher hätte rechnen können (schließlich habe ich jede einzelne Folge des Geflüsters gelesen), aber nicht gerechnet habe. Merkwürdig, die eigenen Hände nun in einem anderen Account zu sehen. So merkwürdig, wie das zu lesen, was ich gesagt habe.

Alles neu, alles spannend, alles gut.

Ein Tag wie Sommerferien

Sommer in Berlin ist wunderbar: viel Grün, wenig Menschen und ein unfassbar blauer Himmel. Und doch fahren wir jedes Jahr genau dann weg. Irgendwie absurd dachten wir letztes Jahr und dass es allerhöchste Zeit sei, das zu ändern. Wir würden einfach hier bleiben. Ferien zu Hause. All das genießen, wofür wir das ganze Jahr arbeiten.

Irgendwie Fügung, oder?

 

Aber (fast) so war es dann. Der Mann kam (wie jeden Sommer, zwischen zwei Projekten) Anfang Juli zurück nach Berlin, schlief morgens aus, übernahm die Küche (juchhu!) und erholte sich. Der Teenager fuhr erst auf Einladung eines Freundes nach Frankreich und dann auf Einladung einer Freundin nach Norddeutschland. Beides war offensichtlich weniger erholsam, weil wenig Schlaf, aber der Sohn war glücklich und mehr kann man von Ferien nicht erwarten.

Ich ging weiter ins Büro, machte aber ansonsten weniger. Also weniger Haus, weniger Garten, um dafür häufiger einfach mal sitzen zu bleiben und nichts zu tun. Schöne, lange, ruhige Tage – auch wenn der Kopf nicht zur Ruhe kam. Der wollte Tapetenwechsel hat Andrea mir erklärt.

Und so kam es, dass meine Sommerferien gestern waren.

Am Nachmittag, als es nicht mehr wie aus Eimern goß, sind wir kurzentschlossen ins Auto gestiegen und an einen der vielen Seen im Berliner Umland gefahren. Schon der Weg dorthin war toll. Weite Felder rechts und links der Strasse, auf denen der Nebel stand. Am See angekommen, haben wir dann zugesehen, wie die Sonne rot-orange ins Wasser fiel. Später, als die Schwäne schlafen gegangen geschwommen sind, sind wir zurück in die Stadt gefahren.

Gar nichts Dolles eigentlich, aber so wunderbar.

Bei allem habe ich nicht viel gestrickt. Kleine, weiche Maschenproben aus rosa Regia Premium Cashmere und Alpaca Cloud als Beilauffaden. Mag sein, dass sie eine Jacke werden.

Und wenige Zentimeter am Summer Love Wrap. Keine Ahnung, ob der jemals fertig wird (140 cm fehlen noch …), aber wenn, wird er wunderschön.

Alles friedlich gerade in meiner Welt – darf es das, bei Allem, was in der realen Welt los ist?