Jede Menge Grau

Die erste große Liebe … denkt Ihr da manchmal noch dran? Viele Jahre ist das bei mir her und doch ist die Erinnerung daran heute sehr präsent, während ich lange, graue Reihen am Kolding stricke.

Ich konnte damals mit seinen Freunden nichts anfangen, er nicht mit meinen. Unsere Familien kannten sich nicht. Unsere Interessen, Ziele, Gedanken, Ansichten hätten unterschiedlicher nicht sein können. So wie Sartres „Das Spiel ist aus“, nur ganz anders.

Grönemeyer, Westernhagen, Lindenberg, Klaus Lage. Wir haben sie alle live gesehen. Das Knoblauchfest in Darmstadt, Alexander Berkmans „ABC des Anarchismus“, Sardinen vom Grill, der kleine Junge an der Strasse. „Gibt’s hier was für Kinder?“ hat er mit großen Augen gefragt.

Erinnerung ist selektiv.

500 Tage. Es waren genau 500 Tage. Alles ein Rausch. Und immer und überall Menschen. Er sprach mit allen, fing sie ein. Ein Menschenfänger. Fröhlich, unbekümmert, großzügig, charismatisch. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Es konnte nicht gut gehen, sage ich. Es hätte funktionieren können, sagt er. Als es zu Ende war, waren wir beide im freien Fall. Erst Tränen, dann Funkstille.

Jahre danach (10? Vielleicht mehr?) sind wir zusammen ins Zillertal gefahren. Als Freunde. Nach einer Woche haben uns die Gäste zum Traumpaar gewählt. Weil wir uns wortlos verstehen, haben sie gesagt, und so entspannt sind. Auch daran hat sich nichts geändert.

Er hat einen Platz in meinem Herzen und das wird für immer so sein.

Es gäbe noch so viele Geschichten zu erzählen. Die schönste Geschichte von allen ist jedoch, dass wir uns nie verloren haben. Mag sein, dass wir uns nicht oft sehen, aber das macht nichts. Wenns drauf ankommt, klappt es irgendwie. Als er Onkel wurde, saß ich mit ihm in einer Kneipe in Frankfurt. Als der Teenager auf die Welt kam, kam er nach Berlin. Natürlich waren wir dabei, als er seine Lebensliebe geheiratet hat und als Darmstadt 98 sich im Spiel gegen Hertha BSC den Klassenerhalt gesichert hat, auch.

Ich kenne ihn mehr als die Hälfte meines Lebens.

Vergangene Woche hat mir eben dieser Freund in einer Nachricht geschrieben, dass er positiv getestet wurde. Obwohl er niemanden gesehen hat. Obwohl er sich an alle Vorgaben gehalten hat. Es geht ihm nicht sehr gut, schreibt er. Atemnot und Husten. Kein Geschmacksinn. Kein Geruch.

Ich stricke lange, graue Reihen (die beige aussehen im Bild, weil es draußen grau ist) und denke an den Freund. An ihn und an seine Frau, an Andrea und ihren Mann. Daran, dass dieses verdammte Virus verschwinden soll!

#FUCKcorona

Tuch N°2

Gefühlt habe ich in letzter Zeit mehr geribbelt als gestrickt. Vieles, was im Kopf perfekt funktionierte, ließ sich mit den Händen nicht umsetzen (die roten Socken, der NightShiftShawl, der Birkin …). Kennen wir alle – nicht jede Wolle passt zu jeder Anleitung – passiert halt. Aber zum Glück gibt es ja auch das Gegenteil.

Und genauso war es jetzt!

Projekt und Wolle haben so unfassbar gut zusammengepasst, dass ich schnell mal jubeln muss. Eigentlich zu früh, denn es gibt noch nicht mal Bilder, die dem Jubel gerecht werden, aber spielt das eine Rolle?

Also: zuerst das Projekt. DieStrickmamsell hatte auf Instagram ihr kirschrotes Tuch N°2 von rosa p. gezeigt. Ich habe es kommentiert, ein Wort gab das andere und – zack! – war klar, ich stricke das auch. Genug Wolle war da (dazu später mehr), Nadeln sowieso und noch am gleichen Abend habe ich angenadelt.

Kraus rechts, ab und an ein kleines Loch, Reihen, die immer länger wurden und trotzdem lange nicht langweilig. Es ging tatsächlich richtig flott! Anfangs …. Irgendwann habe ich dann doch den Zopf-Teil herbeigesehnt. Ich hatte genug von kraus rechts und war mir gar nicht mehr sicher, ob das, was ich da strickte, jemals groß und schön werden würde. Ich gestehe: in einer dunklen Stunde war ich (mal wieder) geneigt zu ribbeln … 🙄

Habe ich aber nicht! Stattdessen habe ich im Überschwang noch eine Mustersequenz angestrickt (ohne es zu merken!) und dann erst abgekettet.

Wie so oft hat Baden und Spannen im Anschluß wahre Wunder vollbracht. Mein Tuch wurde nicht groß, sondern riesig und wirklich hinreissend schön.

Und das lag nicht nur an der Anleitung (die im Übrigen wunderbar geschrieben ist), sondern auch an der Wolle.

Um es kurz zu machen: ich habe Regia Premium Merino Yak unterschätzt. Aber sowas von unterschätzt! Mag sein, dass es Sockenwolle ist, aber de facto kann dieses Garn so viel mehr! Weil es so schmeichelnd und weich ist und trotzdem robust, weil es wärmt und – das finde ich das Beste – weil es durch diese ungefärbten kleinen Yak-Fasern meliert ist. Nach dem Waschen plustern die sich noch ein bißchen auf, machen alles noch ein bißchen weicher und mich damit noch ein bißchen glücklicher. Ihr müsst das ausprobieren! Es ist echt so.

Das Grün, mit dem ich gestrickt habe, ist meine allerliebste Lieblingsfarbe*. Ich kann überhaupt nicht beschreiben was es mit mir macht, wenn ich diese Farbe sehe. Kraus rechts in diesem Grün, Zöpfe in diesem Grün, ein wunderbar weiches, wunderbar großes Tuch in diesem Grün – seit es fertig ist, trage ich es jeden Tag.

Und das wird wohl noch eine Weile so bleiben. So lange, bis auch wirklich alle gesehen haben, wie schön das Tuch ist (und dass meine Augen mit diesem Tuch noch ein bißchen grüner sind 🙃).

*Die Farbe ist viel schöner als auf den meisten meiner Bilder. Meliertes Olivgrün, mehr gelb als blau – so, wie Schachenmayr es fotografiert hat.

©Schachenmayr
©Schachenmayr