Ein langer, ruhiger Fluß

‘Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluß’ ist der Titel eines französischen Films aus den 80ern, an den ich mal wieder denken muss heute morgen. Zwar ist die Handlung meines Lebens in nichts mit der Handlung des Films zu vergleichen, aber seine Aussage trifft wohl zu:

Jede stärkere Strömung, jedes Hindernis im Wasser spielt letztlich keine Rolle, wenn ich einen Schritt zurücktrete und mir das große Ganze ansehe. Alles fließt, alles fügt sich, alles geht unaufhörlich seinen Gang. Egal, was passiert. Egal, was ich mache.

Manchmal tröstet mich das. Manchmal nicht. Aber es ändert nichts daran, dass es so ist. Flüsse sind Reiselinien, Lebensadern. Vergänglichkeit und stetige Erneuerung.

“Zum Ziele strebte der Fluß, Siddhartha sah ihn eilen, den Fluß, der aus ihm und den seinen und aus allen Menschen bestand, die er je gesehen hatte, alle die Wellen und Wasser eilten, leidend, Zielen zu, vielen Zielen, dem Wasserfall, dem See, der Stromschnelle, dem Meere, und alle Ziele wurden erreicht, und jedem folgte ein neues, und aus dem Wasser ward Dampf und stieg in den Himmel, ward Regen und stürzte aus dem Himmel herab, ward Quelle, ward Bach, ward Fluß, strebte aufs Neue, floß aufs Neue.” (aus Hermann Hesses ‘Siddhartha’ – ob du das kennst, Andrea?).

An meinem Fluß sitzen seit dieser Woche zwei Frösche. Die Froschkönigin und ihr Prinzgemahl. Gehäkelt nach der gleichen Anleitung sind es doch sehr unterschiedliche Charaktere geworden. Wenn sie so erwartungsfroh auf der Stuhllehne sitzen oder an der Tischkante mit den Beinen baumeln, erwische ich mich dabei, dass ich mit ihnen spreche. Verrückt!

Fertig geworden ist mittlerweile auch das blaue Punktetuch. Wochenlang lag es hier auf dem Sofa und war mein “go-to-Projekt” vor dem Fernseher oder beim Stricken mit den Freundinnen. Lang und ruhig waren die Reihen,  blau wie Wasser. Masche für Masche, ohne hinsehen oder nachdenken zu müssen. Dass es so schön geworden ist, liegt am handgefärbten Garn der Wollnerin. Die sanften Veränderungen der Farbe geben den Punkten eine Dreidimensionalität, die das Tuch sonst nie bekommen hätte. Ich mag es sehr! Beide – das Rote und das Blaue.

Genug Wasser ist in den letzten Tagen auch vom Himmel gefallen. Gestern – am Geburtstag meiner großen Schwester 🎈-  hat es noch einmal geschneit. 4°C und Schnee im Mai. Verrückte Zeiten, in denen wir leben.

Licht und Wärme wären gut.

 

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

Für meinen heutigen Post muss ich bißchen weiter ausholen: mit 18 waren meine Leistungskurse in der Schule Geschichte und Englisch. Danach habe ich Hotelfach gelernt, Veranstaltungen organisiert, war selbstständig, dann pleite, habe in Oregon gelebt, mich wieder berappelt, bin über Umwege in Berlin gelandet und habe hier viel Geld verdient.

Als ich schuldenfrei war, habe ich gekündigt, um mich – 18 Jahre nach dem Abitur – an der Humboldt Universität in Berlin einzuschreiben. Die Lieblingsfächer unverändert: Geschichte und Amerikanistik. Parallel zum Studium habe ich 20 Stunden in der Woche gearbeitet, bin einmal um- und dann mit dem Mann zusammengezogen, der Teenager kam auf die Welt. In dem Jahr, in dem er eingeschult wurde, habe ich meinen Magister gemacht. Mit einer Arbeit über Hillary Rodham Clinton.

Heute bin ich Historikerin und Feministin.

Rückblickend weiß ich nicht mehr, wie ich das alles unter einen Hut bekommen habe.  Es muss die Frage nach dem Verhältnis von Macht, Sex und Gender in amerikanischen Präsidentschaftswahlen gewesen sein, die mich tatsächlich nie wieder losgelassen hat. (“Cracking the highest, hardest glass ceiling” übrigens auch nicht, aber das ist eine andere Geschichte).

Die Präsidentschaftswahlen 2008 und 2012, dieses Gefühl nach der Wahl 2016 – es hat sich mir eingebrannt, das weiß ich jetzt wieder. Heute ist alles anders als vor vier Jahren und dabei genauso schlimm. Oder schlimmer?

Behauptungen ohne Belege, Schimpftiraden, Verschwörungstheorien, Verleumdungen, Lügen. Eine Strategie der verbrannten Erde, die auf fruchtbaren Boden zu fallen scheint.

Pennsylvania, Georgia, Arizona, Nevada. “Democracy is sometimes messy.” Die Jahre vor Trump kommen nach Trump nicht wieder, heißt es. “America first.” Was jetzt rot ist, wird dann blau. “Buy American.”

Aushalten kann ich es nicht, also verweigere ich Nachrichten und Internet. Gleichzeitig will ich alles wissen. Bis ins letzte Detail.

Es ist Geschichte und Englisch. Es ist nicht mein Land. Weiß der Himmel, warum mir das so nah geht.

In den letzten Tagen habe ich immer wieder gehäkelt. Kleine Quadrate aus kleinen Wollresten. Eins nach dem anderen. Vier Gramm sind genug für Jedes. Stäbchen sind meine Lieblingsmaschen. Wußte ich das vorher schon? Nichts macht mich so gelassen, wie wieder und wieder den Faden zu holen und ihn durch eine Schlinge zu ziehen. Ein Mantra, übersetzt in Wolle.

Dabei sollte es das Projekt eigentlich gar nicht geben. Spontan hatten Magda und Andrea mir vergangene Woche davon abgeraten, als ich ihnen die ersten beiden Quadrate gezeigt habe. Sie wären zu unruhig.

Meine Hände haben das offensichtlich nicht gehört. Nun sind es viele Quadrate und es werden immer mehr (so, wie die abgegebenen Stimmen für die Demokraten). Sie werden immer diverser (so, wie die demografische Entwicklung in den USA).

Mit Glück wird es eine Decke. Fertig wird sie wohl noch bevor dieses unwürdige Spektakel zu Ende ist.

 

Ein blaues Grannytuch

Jeanette und ich kennen uns, seit unsere Söhne zusammen Basketball gespielt haben. Das tun sie zwar mittlerweile nicht mehr (sie sind in verschiedenen Vereinen), aber irgendwie sehen wir uns trotzdem noch ab und an.

Vergangenes Jahr erzählte sie mir dann, dass sie beim Surfen im Netz einen Bobbel aus Baumwolle entdeckt, sich Hals über Kopf in ihn verliebt und ihn gekauft hatte, entschlossen ein Granny-Dreieckstuch daraus zu häkeln. Dieser blaue Twirl (viel schöneres Wort als Bobbel) saß dann für viele Wochen eine Weile 😉 auf ihrer Sofalehne. Ab und an bewunderte sie ihn und nahm sich vor, endlich mit dem Tuch anzufangen, aber klappen wollte es nie. Weil es an der Anleitung fehlte, an Zeit, an Geduld – irgendwie an allem.

Und deshalb brachte sie ihn mir. Ich hätte doch immer Nadeln in der Hand, ob ich nicht auch was aus dem Twirl machen wolle. Egal was, Hauptsache, er wäre weg von ihrer Sofalehne. Es würde sie traurig machen, wenn er da liegt und nichts passiert …

Mal ehrlich: hatte ich eine Wahl?!

Jeanette sollte ihr Tuch bekommen.

Vom Farbverlauf war ich anfänglich entäuscht, aber spätestens als aus dem düsteren grau-blau leuchtendes kobaltblau wurde, fing das Ganze an Spaß zu machen. Mit der Art des Garns habe ich mich allerdings bis zum Schluß nicht anfreunden können. Gefacht heißt, dass vier dünne Baumwollfäden nebeneinander liegen. Da musste ich echt aufpassen alle Fädchen beim Häkeln zu erwischen, also hingucken bei jeder Masche und langsam häkeln, während die Reihen länger und länger wurden …

Aus 800 Metern Lauflänge wurde dann letztlich aber doch ein ganz ansehnliches Tuch. Nicht so groß, wie ich es gerne gehabt hätte (180 cm an der langen Seite), aber irgendwie doch schön. Vor allem zu Jeans und weißem T-Shirt.

Das Wichtigste: Jeanette hat bis zum Schluß nichts geahnt und sich dann richtig gefreut.

Mission completed 😬, oder?

Color Tipped

Früher bin ich an kaum einem Horoskop vorbeigekommen. Ihr wisst schon: diese Dreizeiler, die in Zeitungen oder Zeitschriften stehen, die auf Zuckertütchen aufgedruckt sind oder die man im Radio hört. Manchmal habe ich mir gewünscht, dass sie Recht haben, manchmal nicht. Und wenn irgendwo was vom Steinbock stand, habe ich geguckt, ob ich mich darin wiederfinde.

Spätestens seit ich den Mann kenne, ist das vorbei.

Der Mann hat heute Geburtstag. Am gleichen Tag wie meine Schwester. Hier ein Fisch, da ein Fisch. Da sollte man doch meinen … Ist aber nicht so. Die Gemeinsamkeiten der Beiden (abgesehen vom Tag der Geburt) sind schnell erzählt: beide sind mir wichtig.

Wie ist das mit Euch? Gehört Ihr zu denen, die an die Macht der Sterne glauben? Angeblich tut das jede dritte Frau und jeder sechste Mann. Irre viele also, wenn man sich das mal vor Augen führt.

Nur, wie kriege ich jetzt den Bogen zu dem Schal, den ich zur Zeit (zu allem anderen auch noch) auf den Nadeln habe und über den ich eigentlich schreiben wollte?

Sterne – Himmel – Blau. So könnte es gehen. Denn angefangen hat tatsächlich alles mit einem blauen Strang, den ich letzten Sommer – zusammen mit Pia – bei der Wollnerin gekauft habe.

600 handgefärbte Meter in allerschönstem Blau aus 70% Babyalpaca, 20% Seide und 10% Kaschmir. Irgendwann habe ich angefangen daraus einen Schal in Patent zu stricken – das Muster, das alle Welt heute Brioche nennt. Warum eigentlich? (Um Sophia zu zitieren: “Für mich sind Brioche Brötchen.”)

Breit sollte er werden und luftig. So breit, dass ich ihn um die Schultern ziehen kann, wenn es kühler ist; so luftig, dass ich ihn auch im Sommer gerne dabei habe.

Also habe ich 5er Nadeln genommen (anstelle der empfohlenen 2-3) und 70 Maschen angeschlagen. Damit wurde er ungedehnt gut 35 cm breit – läßt sich aber problemlos auf 60 cm ziehen.

Und plötzlich waren 600 Meter gar nicht mehr viel … Ich könnte jetzt sagen, das Stück Orange, das ich deshalb jetzt noch dran stricke, war von Anfang an geplant. Dass mich der Color Tipped Scarf von Purl Soho dazu inspiriert hat. Stimmt aber nicht.

Orange is the new blue. Orange ist mein Plan B.

Auch diesen Strang habe ich bei der Wollnerin gefunden. Filace Quito in der Farbe Terra. 30 cm werde ich noch stricken. Vielleicht ein bischen mehr. Dieser Schal wird dann so schmusig und weich sein – ich freue mich da richtig drauf.

Ob er schön wird? Ich weiß es (noch) nicht. Ist schon ein heftiger Kontrast. Vielleicht habe ich aber auch einfach zu viel Winter-Grau gesehen in letzter Zeit.

Jetzt also blauer Himmel, orange Krokusse, Frühling!

Doch, es wird gut.

Mal wieder Patchwork

Bevor ich das wunderbare Blocking Board hatte, habe ich Quadrate immer “old school” gespannt: entweder einzeln auf mein Bügelbrett gepinnt, oder – wenn die Quadrate schon relativ glatt und relativ gleich groß waren – erst genäht (oder gehäkelt) und später die Decke als Ganzes gewaschen und gespannt.

So ist auch irgendwann im Dezember die blaue Patchwork-Decke entstanden.

Die Quadrate hat meine Mutter gestrickt, wie hier und hier auch schon. Und wie immer waren sie perfekt: alle gleich groß, alle aus Garnen gleicher Stärke.

So, dass man meinen sollte das Zusammennähen sei kein Thema. War es trotzdem. Gefühlt hat es endlos gedauert. Um so mehr gefällt mir nun die fertige kleine Decke (80×80 cm) mit ihrem hellen Rand und der blauen iCord drumherum.

Jetzt wärmt sich der Vogel daran.

Das Bild hat mir meine Schwester geschickt und ich bin irgendwie ganz fasziniert von Licht und Schatten und so viel Blau.

Und dann war sogar noch genug Wolle übrig für blaue Socken in Gr. 42.

Na ja, fast genug …

Nachtrag: Auf Druck eines 13jährigen bin ich gehalten noch zwei Bilder anzuhängen. Auch die kommen von meiner Schwester. Ich soll sie zeigen, weil man (a) mehr von der Decke sieht (hat er Recht) und (b) weil, auf dem von mir gewählten Bild zwar ein Vogel, aber weder Sperling (die Puppe), noch seine Anziehsachen drauf sind. Also gut.